Schiiten - Wer sie sind und woran sie glauben

Im Arabischen hat das Wort Schia Bedeutungen wie z.B. Gesellschaft, Partei, Unterstützer, Helfer.

Dieses Wort, das an verschiedenen Stellen im Koran erwähnt wird, wird im Arabischen hauptsächlich im Sinne von Unterstützer verwendet. Hier ist eine kleine Übersicht der Koranstellen zu diesem Wort:

(6/65, 159; 15/10; 19/69; 28/4, 15; 30/32;  34/54; 54/-51; 37/83)

In den Ereignissen, die nach der Ermordung von den Kalifen Uthman b. Affan stattfanden, ist es zu sehen, dass die Anhänger von Ali b. Abu Talib (Shatu Ali b. Abu Talib) genannt werden. (Vgl. (eş-Şehristan, el-Milel ve'nNihal, I, 146)

Die Verwendung des Wortes Shia in diesem Sinne bezieht sich im Allgemeinen auf das Martyrium von Husain welches am 10 Muharram in Karbala 61./10. Oktober 681 geschah.

Einige Zeit nach dem Vorfall in Karbala wurde der Begriff “Schia” für die Leute benutzt, die zusammenkamen um einerseits sich für das Martyrium von Hz. Hüseyin zu rächen und andererseits die Rechte der Nachkommen von Ali geltend zu machen und zu beschützen.

Allgemein gilt aber das Ableben des Propheten (s.a.s.) als die Geburtsstunde des Shiitentums. Die Nachfolge des Propheten (s.a.s.) also die Führung der Gemeinde war ungewiss. Während viele den engsten Vertrauten Abu Bakr als geeignet ansahen, gab es auch welche, die Ali b. Abu Talib als geeignet sahen. Ali war der nächste Verwandte und Schwiegersohn des Propheten (s.a.s.) also damit auch Teil des Ahl al-Bayt. Nach dieser Logik kam ihm eine besondere Rolle zu. Historisch gesehen setzte sich aber die mehrheitliche Meinung durch und Abu Bakr wurde der erste Kalif. Eine kleine Gruppe blieb aber dabei, Ali vorderrangig zu sehen.

Zur welcher Zeit die Schia als feste Gruppe entstanden ist, ist höchst umstritten. Schiitische Quellen besagen, das zu Lebzeiten unseres Propheten (s.a.s.) es einige Gefährten des Propheten gab, wie z.b Abu Zar al-Gıfarî, Salmân al-Farisî, Mikdad b. al-Asvad, die Ali b. Abu Talib den anderen Gefährten gegenüber überlegen und als würdigsten für das Kalifat sahen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet wären es die ersten Schiiten. (Vgl. En-Nevbaht, Firaku'ş-şîa, Necef 1368, 39-40)

Es gibt jedoch Sichtweisen demnach diese Gruppe, die Ali als überlegen und tugendhaft ansieht, und die Schiiten insgesamt als rein politische Bewegung entstanden sind.

Es gilt festzuhalten, dass die Shia ein großes Spektrum abbildet und deswegen gibt es viele unterschiedliche Shiiten mit unterschiedlichen Glaubensansichten. Einige von ihnen trennen sich scharf von den Sunniten und Andere zeigen größere Nähe. Die Nähe zum Prophetengefährten Ali ist aber keine alleinige Sache der Shiiten, da auch für die Sunniten Ali von besonderer Bedeutung ist.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die islamische Geschichte irgendwann auch Kapitel hatte, in denen es um Rang- und Machtkämpfe ging. Politisch motivierte Streitigkeiten gab es und so gibt es nicht wenige Momente, in denen das Shiitentum primär durch politische Streitigkeiten auffiel.

Bedeutend für das Shiitentum ist der Glaube an die „Imame“, wobei damit etwas Anderes gemeint ist als das was die mehrheitlichen Muslime unter dem Wort generell verstehen. Hier sind die Imame nämlich so etwas wie messianische Figuren, also rechtgeleitete besondere Heilige, die die Gemeinde führen werden, wenn sie wieder auftauchen. Für alle Shiiten ist Ali ein Imam und auch seine Söhne Hasan und Husain sind Imame. Dann aber gibt es unterschiedliche Linien und Abspaltungen. Daher gibt es z.B. auch die sogenannten 12, 7 oder 5 Imame mit ihren jeweiligen Gemeinden. Die Imame gehen aber immer auf die Blutlinie des Propheten und auf Ali zurück.

Heute bildet die Shia ca. 15-20% aller Muslime aus und die größte Dichte findet sich im Iran. Es leben aber auch viele Shiiten in Aserbaidschan, Bahrain, Irak und Libanon.

Als die Umayyaden als Dynastie (ab dem 6./7. Jahrhundert) die muslimische Gemeinde leiteten, waren viele Muslime unzufrieden. Die Umayyaden hatten sich im Vergleich zu den vorherigen Kalifen etwas entfernt von religiöser Leitung und wirkten eher wie ein Königtum. Außerdem regierten sie mit eher strenger Hand, wenn es darum ging, ihren Willen durchzusetzen. Während viele Muslime diesen Umstant eher missbilligend hinnahmen, gab es auch einige aktive Gegner bzw. Oppositionelle. Es gab Unruhen und Shiiten behaupteten, dass jemand aus der Blutlinie von Ali das Oberhaupt stellen sollte und dass die Umayyaden dieses Recht beraubt hätten. Unter ihnen war z.B. Zayd ibn Ali.

Durch diese Reibungen wurden auch die Fronten verhärtet, weil die Shiiten im Konflikt ihre Grundsätze verstärkt als Legitimation genutzt haben und die Umayyaden sowie auch Andere ihnen genau das zum Vorwurf gemacht haben. So entstand eine wechselseitige Wirkung in denen sich die Lager immer stärker distanzieren würden. Aus shiitischer Sicht hat sich dabei der Gedanke entwickelt, die Widersacher aus ihrer Sicht und die Prophetengefährten zusammen als Feinde und als fehlgeleitet zu betrachten.

Man muss aber auch betonen, dass der Konflikt sowie die negative Beschreibung der Prophetengefährten nicht bei allen Shiiten gleichermaßen vorhanden ist. Daher muss man genauer auf den jeweiligen Kontext schauen und nicht alle Shiiten in einen Topf werfen. Es ist möglich zu sagen, dass die Politisierung der Religion ab einem Punkt für die Spaltung und Feindseeligkeit sorgt.

Meinungsverschiedenheiten und theologische Diskurse sind eigentlich gängig im Islam und die Geschichte des Islams ist voll von Diskursen. Darin zeigt sich der Reichtum der islamischen Ideenwelt und die Komplexität der islamischen Kultur. In diesem Sinne sind Absolutismus und faschistische Ideologien, die den Islam benutzen, um Streit anzuführen eigentlich eine Neuerung in der islamischen Welt. In Wahrheit kennt der Islam keine Kultur, wo alles mit Druck und sogar Gewalt glattgebügelt werden soll.

Es ist natürlich für einen sinnsuchenden und ratsuchenden Menschen nicht leicht immer den Überblick zu behalten. Es gibt zwei Prinzipien, die einem die Richtung weisen können. Eine wichtige Richtung ist es stets sich an den etablierten Gelehrten der Ahlu Sunna zu orientieren. Das andere wichtige Prinzip ist es sich stets vor dem Takfir (Leuten den Glauben abzusprechen) zu hüten. Denn so wie jeder Mensch ein Individuum ist, so ist es teilweise unvermeidbar, dass daraus eben verschiedene Positionen entstehen. Selbst wenn man einer Meinung ist, gibt es dennoch in der Sprache und im Verständnis der Menschen große Unterschiede. 10 Menschen würden denselben Text unterschiedlich lesen und in Folge auch unterschiedlich wiedergeben. Es wäre im Grunde genommen unnormal, wenn immer und überall absolute Meinungsgleichheit herrschen würde. Das kann also nicht das Ziel sein. Ebenso ist es auch völlig normal, dass man als Mensch Recht haben oder behalten will und sich daran stört, wenn andere Menschen einem widersprechen.

Es ist zulässig zu sagen „mein Weg gefällt mir am besten“ aber es ist nicht richtig zu sagen „mein Weg ist der einzig Richtige“. Es ist schließlich auch theologisch nicht möglich oder zulässig, das göttliche Urteil über eine Sache in die eigene Hand zu nehmen und aus seiner menschlichen beschränkten Sichtweise heraus, die Stellung der Menschen zu definieren.

Ein Eckpfeiler des Islams ist der Gedanke der Gemeinde und der Brüderlichkeit. Damit dieser Gedanke aber überhaupt aufleben kann, muss man auch jedem gegenüber offen auftreten. Man kann keine Brüderlichkeit erreichen, wenn man immer nach Wegen sucht, Andersdenkende aus dem Kreis auszuschließen.

In der heutigen Welt ist es für viele Menschen gar unmöglich, solch tiefgreifende theologische Diskurse im Geiste der alten Gelehrten nachzuvollziehen oder sogar anzuführen. Eher haben viele Muslime damit zu kämpfen, ihre Religion im Einklang mit der Hektik des diesseitigen Lebens zu bringen. Viele Muslime schätzen sich heutzutage glücklich, wenn es ihnen gelingt, ihre religiösen Pflichten ohne Defizit einzuhalten, weil das soziale Leben in der modernen Welt sie schon fast verschlingt. Damit der Glauben in der modernen Welt nicht wie ein flackerndes Kerzenlicht vom Wind bedroht wird, ist es umso wichtiger, zur Einheit zu finden und einander zu unterstützen, statt sich in theoretischen Diskussionen zu entzweien. Dabei gibt es nur Verlierer.

Wenn es um Glauben und um Rechtleitung geht, sollte wahrscheinlich jeder Mensch sich selbst überprüfen und zunächst seine eigenen Fehler und Irrtümer korrigieren. So wie die Straße sauber bleibt, weil jeder Mensch das Stück vor seiner Haustür eigenhändig sauber macht, so kann jeder Mensch auch in Glaubensfragen sich mit sich selbst beschäftigen und zugleich damit auch ein positives Beispiel für Andere sein.      

 

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