Im Koran wird befohlen, den Dieben die Hand abzuschlagen als Strafe. Ist diese Strafe gemäß der Menschenrechte nicht zu hart?

Details der Frage
Wie muss man dieses Strafmaß verstehen, welche Weisheit sollte dahinter stecken und unter welchen Bedingungen könnte man es anwenden? Ist dieses Strafmaß in der heutigen Welt überhaupt noch anwendbar oder vielleicht überholt?
Antwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

Liebe Leserin, lieber Leser

 

Diebstal was wir mit "Das Hab und Gut einer Person von ihrem eigentlich beschützen Platz heimlich ohne das Wissen des Besitzers zu entnehmen" benennen, ist eine der grundlegenden Verbrechen gegen das Eigentumsrecht. Der Schutz des Reichtums welches aus Eifer, harter Arbeit und legitimen/erlaubten Wegen entsteht, bildet einen der Grundsätze des Islams aus. Der Islam nimmt die Mühe und das Eigentum als heilig wahr und bestraft den außerrechtlichen Übergriff darauf. Unter diesem Aspekt ist Diebstahl wie es bei allen göttlichen Religionen so ist, auch im Islam, sowohl aus dem Blick der Rechtsordnung eine Straftat als auch aus religiöser sowie ethischer Sicht eine große Sünde und wird als schändlich angesehen.

Der Diebstahl eines Eigentums welches mit Eifer und Fleiß einer Person erworben wurde ist ein Betrug der das Herz verletzt und ein vom Gewissen nicht mehr tragbares Kapitalverbrechen. Dieses Kapitalverbrechen gab es zu jeder Epoche und so gibt es sie auch weiterhin. Daher führt der Islam eine Ahndung/Sanktion die der Straftat entspricht ein und gebietet das Abschlagen der Hand solch eines gewissenslosen Täters. Wäre die Ahndung angewandt, so wären diese Straftaten auf ein Minimum herabgefallen.
Diebstahl wird in Buch, Sunna und Konsens der Gelehrten verboten. Siehe dazu exemplarisch folgenden Vers;


Der Dieb und die Diebin: trennt ihnen ihre Hände ab als Lohn für das, was sie begangen haben, und als ein warnendes Beispiel von Allah. Allah ist Allmächtig und Allweise.  (Sura al-Māʾida 38)


Eine Überlieferung des Propheten (S.A.S.) hierzu sieht folgendermaßen aus;
Die euch Vorherigen sind aus diesem Grund zu Grunde gegangen; sie haben, wenn jemand ehrenvolles Diebstahl begangen hat, den Dieb frei gelassen. Und wenn jemand schwaches Diebstahl beging, so haben sie ihn bestraft. (Eş-Şevkânî, Neylü'l-Evtâr, VII,131,136).

Wenn der Diebstahl eindeutig wird, wird die Hand abgeschlagen als Strafe. Das hier angewandte Strafmaß wird im Islam als "Ḥadd-Strafe" bezeichnet. Dies bezeichnet im Islam eine Art Kategorie im Strafmaß. "Ḥadd" wird mit "Grenze" übersetzt und beschreibt in diesem Kontext dass das Strafmaß, die Art, die Menge etc. von Gott deutlich bestimmt ist. Ferner muss auch die Straftat deutlich gekennzeichnet sein, selbst geringste Zweifel müssen beseitigt werden, ehe man das Strafmaß hier anwendet. 

Die islamischen Juristen/Rechtsgelehrten haben mit der Bemühung Gerechtigkeit und das Recht sowie das Strafmaß und das Strafrecht gesetzlich zu verfassen, tiefgehend über die Bedingungen der Bestimmung von Verbrechen, die Bedingungen des einzusetzenden Strafmaßes, Wiederholungen, Zwänge und Begnadigungen diskutiert und haben so eine reichhaltige Gesetzgebung ausformuliert. Zusammenfassend wurden so für das Delikt des Diebstahls Bedingungen erörtert, wie etwa dass zur genauen Bennenung/Entstehung des Verbrechens Zwänge wie etwa Hungersnot oder Nötigung, also Begründungen die das Verbrechen teilweise oder gänzlich entschuldigen nicht bestehen dürfen und dass das Verbrechen bewusst und gewollt verübt werden muss sowie dass der Verbrecher strafmündig ist, das gestohlene Gut unter gesetzlichem Schutz gestellt ist und eine gewisse Menge überschreiten muss.
Im islamischen Recht haben die Strafen die Beschaffenheit eines zwangsmäßigen und schlussendlichen Eingriffs die man anwenden kann, nachdem die nötigen Vorkehrungen zur Verhinderung von Verbrechen getroffen wurden. Dementsprechend ist das grundlegende Ziel der islamischen Rechtsgebung nicht etwa jemanden zu bestrafen sondern im Gegenteil Vorkehrungen zu treffen, die die Möglichkeit zum Verbrechen eliminieren, man muss daran erinnern dass es hierbei nämlich primär um die Wahrung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung sowie um die gesellschaftliche Balance, die Rechtleitung und Bildung des Menschen geht. Damit all diese Bemühungen in der Gesellschaft erfolgreich sind trägt es eine unausweichliche Relevanz, dass die religiöse Ausbildung, gesellschaftliche Ausbildungen das gesamtgesellschaftliche Verständnis von Ethik und Moral und dazu auch die rechtliche Bestimmung und die offizielle Politik aufeinander abgestimmt sind.
Gott hat das Bestrafen des Diebstahls befohlen. Unter diesen allgemeinen Bedingungen wird eine Hand die trotz allem den Diebstahl wagt, in einer islamischen Sozialanstalt änlich wie eine Hand die aus medizinischen Gründen amputiert werden muss, abgeschlagen. 

So gilt für die Gläubigen, dass man dem Dieb oder der Dieben, sofern ihr Verbrechen durch keinerlei Entschuldigen entlastet und begnadigt werden kann und somit eindeutig wurde, die Hände abschlägt, als ein Fessel, eine Bindung, (dafür dass sie es nie wieder tun) ein Exempel und eine Strafe Gottes. Denn Gott ist erhaben und weise. Das Recht erwächst aus der erhabenen Obhut Gottes und die Strafe aus seiner Weisheit. Gott ist der Tyrannei und der Anarchie nicht wohlgesonnen. Er spendet Kraft um für das Gute und das Recht zu arbeiten. Er gebietet dass man ggbf. Ehrfurcht zeigt, nach Wegen sucht und sich bemüht. So viele Zeichen, Verse und Beschlüsse hat er herabgesandt um die Bedrückten zu bewachen und den Bedürftigen zu helfen. Mit Spendengaben, Almosen und Beschlüssung zur gegenseitigen Hilfe hat er die, die dazu fähig sind mit Aufgaben befehligt, den Reichen befohlen einen gewissen Anteil den Armen und Mittellosen einzuräumen, da Gott ihnen dieses Recht zugesprochen hat. In einer muslimischen sozialen Gesellschaft, die diese Beschlüsse ausübt, ist es eindeutig ein Übergriff auf die Würde Gottes und ein insgeheimer Feldzug gegen Gott, wenn man ohne Furcht vor Gott, ohne das Aufsuchen anderer von Gott gebilligter Wege, ohne sich Gottes Anweisungen entsprechend anzustrengen und geduldig zu sein das rechtmäige Hab und Gut des anderen worauf man kein Recht hat und auch kein Verdacht darauf liegt, dass er ein Recht darauf hätte, geheim ausraubt. Die Strafe einer Hand die so etwas tut ist es abgeschlagen zu werden. Denn diese Hand kennt einfach keine Grenzen mehr und schreckt auch vor nichts mehr zurück. 
Unter diesem Umstand sollte man nicht denken, dass es ein Ungleichgewicht zwischen Verbrechen und Strafe gibt. Denn diese Strafe ist nicht einzig das Gegenstück des gestohlenen Guts (bzw. dessen Werts) sondern eine Strafe gegenüber den Übergriff auf die Würde Gottes, welche der Tat des Diebstahls innewohnt. Diese Hand hat sich selbst ins Feuer gelegt. Dies ist für die Person und andere Personen die ihr folgen und somit aufsässig werden eine beständige Fessel Gottes. Somit wird sowohl der Täter als auch die anderen von seiner/ihrer Anarchie bereinigt. Weiter ist das göttliche Bemessen solch einer Strafe für diese Tat, die auf diese Art einen Übergriff auf die Würde Gottes dartstellt, eine Fessel die den Menschen ihre Grenzen aufzeigt, aber dies nicht aufgrund Zorn sondern gänzlich aufgrund der Weisheit. In einer sozialen Gesellschaft wo dieses Strafmaß ausgeführt wird, würde man die Wurzel des Diebstahls beseitigen. Man würde kaum noch eine Hand finden die man abschlagen könnte. Dies geschieht aber unter der Prämisse, dass das Strafmaß rechtmäßig ausgeführt wird, dem Prozess keinerlei Zweifel noch innewohnen und man dem Unrecht keinerlei Entfaltung (bzw. Entfaltungsmöglichkeiten) bietet. Denn anderenfalls würde sich die Würde und die Weisheit Gottes auch nicht wie ursprünglich intendiert manifestieren. Wenn die Strafe eines unrechtmäßigen Diebstahls es ist, die Hand abgeschlagen zu bekommen, dann ist die Strafe für das unrechtmäßige vllt. willkürliche Verurteilen von Menschen wahrhscheinlich härter.

Wenn ein Mann oder eine Frau sich durch den Diebstahl der dazu führte, dass die Hand abgeschlagen wird, selber peinigt und dann tiefgehend Reue zeigt und sich im Verhalten bessert, so ist es zu erwarten, dass der barmherzige und verzeihende Gott dies akzeptiert. Im Jenseits hält Er für ihn keine weitere Pein bereit sondern behandelt in mit Barmerzigkeit und Verzeihung. Insofern dürfte man eine Person deren Hand aufgrund eines vergangenen Verbrechens abgeschlagen wurde aber Buße getan hat, nicht mit einem herablassendem Auge betrachten, man sollte ihn gegenüber Mitleid zeigen und ihr helfen.  

Soweit sieht die theoretische Grundlage bzw. das Verständnis zu dieser Frage und dieser Thematik aus. Da dies aber ein heikles Thema ist und vom Kontext losgelöst auf viele befremdlich wirken kann wollen wir noch auf einige wichtige Punkte hinweisen;

Zunächst wollen wir darauf hinweisen, dass der entsprechende Vers (Sura al-Māʾida 38) ein Paradebeispiel für die koranische Exegese ist. Hier haben wichtige Gelehrte und Exegeten seit jeher tiefgehend diskutiert wie man dies zu verstehen hat und wie man dies auslegen darf. So entwickeln sich auch verschiedene Begrifflichkeiten, Methoden und Auslegungen anhand der koranischen Grammatik und den ggbf. relevanten Überlieferungen zur jeweiligen Sachlage. Hieraus wiederrum bilden sich ganze Subdisziplinen innerhalb der Islamwissenschaft wie etwa "ʿĀm wa Ḫāṣ" oder "Muḥkam wa Mutašābih". Es ist wichtig dies zu wissen, damit man versteht welche tiefgründigen Denkprozesse diesen Auslegungen vorhergehen und wie sehr sie ausdiskutiert und auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden. Desweiteren wurden bereits einige Elemente im Sinne von Bedingungen erwähnt. Mann kann nämlich das Strafmaß nicht losgelöst von seinem Kontext betrachten und es so bewerten. Das islamische Strafmaß stellt an dieser Stelle ein Teil eines in sich geschlossenen Wertesystems dar und dieses System wird von der Gesellschaft vernommen und akzeptiert. Somit würde es wenig Sinn machen ein spezifisches Glied aus diesem System zu isolieren um es in einem anderen System anzuwenden. Daher ist es verständlich wenn man von einem anderen Kulturkeis und einer anderen Wertevorstellung geprägt und ausgehend diese Sachlage und dieses Strafmaß befremdlich findet. Dieses Strafmaß erwächst nämlich vordergründig aus der recht stark ausgeprägten Frömmigkeit der Gesellschaft und der Prävention des sozialen Verfalls. Weiter ist ein fehlerfreies Rechtssystem und ein Prozess auch elementar, es muss nachweislich und unverfälschlicherweise erkennbar sein, dass der Täter bewusst ein Verbrechen begangen hat für dessen es keinerlei Entschuldigung gibt. So ist es auch wahrscheinlich dass dies den Kreis des Täterprofils relativ einengt, jemanden der aus Hungersnot stiehlt oder mit Druckmitteln dazu gezwungen wird könnte man somit z.B. nicht verurteilen. Wir würden hier also von einem perfektem und intaktem Rechtssystem sprechen. Außerdem erwachsen die Bestimmungen dieses Rechtssystem aus der Frömmigkeit, dem Verbrechen gegenüber Gott und der Prävention dieser. Es geht bei der Strafe also nicht immer nur um den mathematisch berechenbaren Ausgleich des Bestohlenen. Es geht eher darum den Menschen als Gattung rechtzuleiten und ihm von jeglichen schlechten Einflüssen fernzuhalten oder anders ausgedrückt die Möglichkeiten für unsittliches und verderbliches Verhalten so gut wie möglich zu unterbinden, so dass der Mensch nur noch klar erkennbar aus eigenem Willen heraus so handelt und dementsprechend nur sich selbst für seine Strafe verantworlich machen kann. In diesem idealisierten System würden solche Strafen überhaupt relativ selten vorkommen und solche Verbrechen würden eine viel stärkere Resonanz aufrufen bzw. würden viel stärker auffallen und schlimmer wirken. Sie würden als ein Akt der Extremität wahrgenommen werden. Dies ist also eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und sollte allen Instanzen (der sozialen, der politischen  der legislativen etc.) der Gesellschaft beiwohnen. Da unsere heutige Welt und unsere heutigen Systeme dies nicht leisten bzw. es evtl. auch nicht leisten könnten kommen diese Verbrechen viel öfter oder gar regelmäßig vor und werden daher anders wahrgenommen. Wir sprechen hier also von einer gänzlich anders geprägten und strukturierten Gesellschaft. In dieser Gesellschaft ahndet man die Verbrechen nicht mehr so streng und daher kann das islamische Strafmaß hier überzogen wirken. Denn das islamische Strafmaß ist nicht auf diese Gesellschaft zugeschnitten und eigentlich wichtiger, diese Gesellschaft ist nicht bereit für das islamische Strafmaß

Unter diesem Verständnis und diesen Bedingungen gewinnt der Befehl in dem Vers der Sura al-Māʾida eine ganz andere Konotation und eine in sich geschlossene und in sich mündige Rationalität. Daher ist es obsolet danach zu fragen, ob das islamische Strafmaß veraltet wäre oder in der heutigen Zeit anwendbar wäre. Erst wenn die Gesellschaft die angesprochenen Punkte erreicht, könnte es sinnvoll erscheinen über solche gesamtgesellschaftliche Maßnahmen zu reden. Der Islam verfestigt sich nämlich von innen nach außen und nicht umgekehrt. Die Reform des Herzens fängt also zunächst im Herzen des Einzelnen an und erreicht danach die Außenwelt und wenn diese dafür bereit ist, nimmt sie sich dieser an. Das System erwächst somit vom unterem Fundament nach oben heraus. Umgekehrt würde dies stark einer Diktatur ähneln. 

 

Selam & Dua

Fragenandenislam - Team

 

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