Warum hat Allah den Menschen erst nach 13,7 Milliarden Jahren erschaffen?

Antwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

Allah ist al-Ḥakīm, also der Weise und macht daher nichts Sinnloses oder Zweckloses. So wie in allem was er erschaffen hat zahllose Weisheiten, Nutzen und Zweckmäßigkeiten zu finden sind, sind auch mit Blick auf die Umstände der erschaffenen Dinge wie Zeit, Ort, Zustand und Entstehungsart vielerlei Bedeutsamkeiten, Nützlichkeiten und Relevanz zu finden. Was für uns zu tun bleibt, ist diese Weisheiten hinter dem Wirken Gottes zu erforschen und besser zu verstehen. Wir sollten dankbar für jede Weisheit und jeden Nutzen sein, den wir in Dingen zu erkennen vermögen.

Beispielsweise heißt es im Koran, dass Allah die Erde und die Himmel in sechs Tagen (gemeint sind sechs unterschiedliche Etappen) erschaffen hat. Die Entwicklung des Menschen als Embryo im Bauch der Mutter kann auch in sechs Stufen eingeteilt werden. Auch das Leben des Menschen auf der Welt, sein Leben im Grab (qabr), der Verlauf eines Tageszyklus, sogar die Existenzsequenzen von allen Dingen angefangen bei der Entstehung, der Vervollkommnung bis hin zum Alter, dem Sterben, dem Verwesen und dem Vergessenwerden, in all diesen Dingen sind sechs markante Stufen und Etappen zu erkennen. Dies lässt uns an Weisheiten und Zweckmäßigkeiten denken, die in derartigen Aufteilungen stecken könnten.

Gott hat mit seinem urewigen (schon immer da gewesenen) Wissen die Erschaffung von Lebewesen zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten als Schicksalsbestimmung (qadar) festgelegt. Da er erhaben über Raum und Zeit ist, also keinen zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten unterliegt wie im Falle der Menschen beziehungsweise aller Lebewesen im Universum, ist bei ihm an keine zeitliche Entwicklung zu denken. Bei ihm ist nicht an zeitliche Begrifflichkeiten wie früher, gegenwärtig und zukünftig zu denken. Dennoch lässt er mit Blick auf zahllose Weisheiten und Zwecke die Menschen und Geschöpfe innerhalb einer Raum-Zeit-Sphäre leben, und wirkt von „außerhalb“ in dieser Sphäre. So sind 13,7 Milliarden Jahre viel Zeit aus unserer Sicht, aber aus einer Perspektive der Zeitlosigkeit kommt es einem Nichts gleich. Somit kann bei Gott nicht von einem „Warten“ die Rede sein. Diese zeitlichen Entwicklungen gelten nur für Geschöpfe, nicht aber für den Schöpfer. Nichtsdestotrotz stecken in der Milliarden Jahre alten Geschichte der Erde viel Sinn und Weisheit, auf welche die Menschen durch ihre wissenschaftlichen Forschungen immer stärker Bezug nehmen können.

Wir können niemals erfassen was das urewige Wissen (ʿilm azalī) und die urewige Weisheit (ḥikma azalī) Allahs beinhaltet. So zeigt der Vers:

„Sie sagten: »Gepriesen seist du! Wir haben kein Wissen außer dem, was Du uns gelehrt hast. Du bist der, der alles weiß und weise ist.« “ (2/32) 

dass selbst die Engel begrenzt in ihrem Wissen begrenzt sind und dass Gottes Wissen und Weisheit niemals ergründet werden kann. Auch der Vers:

„Euch aber ist vom Wissen gewiss nur wenig gegeben.“ (17/85)

zeigt, dass der Bereich den wir mit unserem menschlichen Verstand und Wissen erfassen können, sehr eng und beschränkt ist.

Fragestellungen bezüglich derartiger Angelegenheiten, die für den Menschen aufgrund seines begrenzten Verstandes einerseits schwierig zu erfassen und zu verstehen sind, weil ihre Hintergründe lediglich Gott umfassend und tiefgründig vorenthalten sind, können häufig schädliche Verwirrungen und Zweifel hervorrufen, weshalb man oft von Einflüsterungen (waswasa) des Šaiṭān spricht. Andererseits haben derartige Angelegenheiten keinen Einfluss und keinen Nutzen, weder für unser irdisches noch für unser jenseitiges Leben. Vor diesem Hintergrund scheint es reine Zeitverschwendung zu sein ohne entsprechende Quellen und Referenzen zu spekulieren und zu grübeln. So ermahnt Allah uns wie folgt:

„Und verfolge nicht das, wovon du kein Wissen hast. Gewiss, Gehör, Augenlicht und Herz, - all diese -, danach wird gefragt werden.“ (17/36)

An dieser Stelle sei auch noch erwähnt, dass zeitliche Entwicklungen und die dahinter verborgenen Weisheiten (welche oft nur begrenzt vom Menschen erfasst und verstanden werden können) ein Charakteristikum des irdischen Lebens sind. All die Veränderungen, Entwicklungen und Vervollkommnungen auf der Erde und im gesamten Universum sind prägend und nehmen Einfluss auf uns als Lebewesen und Geschöpf. So durchlebt auch der Mensch eine Entwicklung von seiner Geburt bis zu seinem Ableben, welche essenziell für seine Lebensweise ist. Man stelle sich nur einmal vor wie es wäre, wenn alle Menschen im Reifealter von 40 Jahren auf einmal ein Leben auf der Erde beginnen würden. Viele Entdeckungen und Errungenschaften blieben verborgen, viele Entwicklungen unvollständig und in vielen Bereichen würden die uns nun vorhandenen Notwendigkeiten fehlen.

Hingegen wird im Jenseits die Belohnung des Menschen, seine Stufe und sein Lohn, ihm in einem Zuge zugeteilt, sodass der Mensch dort als vollkommen sein Leben beginnen wird und stets in Vollkommenheit leben wird. So wie einem Arbeiter die Entlohnung eines Monats als eine Gesamtzahlung ausgezahlt wird, wird dem Menschen sein Lohn im Paradies sofort als Ganzes zustehen. Der Mensch wird also befreit sein von zeitlichen Hindernissen, sodass das was er sich wünscht just in diesem Moment erschaffen wird. So wird er zur selben Zeit an mehreren Orten sein, verschiedenartige Dinge tun und Gaben speisen können. So wie eine Frucht eine gewisse Zeit braucht und Entwicklungen durchlebt bis sie aus einem Baum hervorgeht, so durchlebt der Mensch auch zeitbedingte Entwicklungen und wird letztendlich irgendwann ausreifen. Daran erkennen wir, dass Gott gewisse Dinge einer Intention folgend plant und erschafft. Gleichzeitig zeigen all diese Dinge jedoch auch, dass Allah erhaben ist und seinem Willen entsprechend tun und lassen kann was er will, wann er will und wie er will. Somit ist er an keine Zweckmäßigkeiten gebunden. Bemerkenswert ist es dennoch, dass vor diesem Hintergrund Gott kein Detail sinnlos und zwecklos erschafft, sondern seiner grenzenlosen Weisheit entsprechend handelt.

Fragen an den islam

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