Tritt man aus dem Islam aus wenn man sagt dass die Hadith/Überlieferungen teilweise oder komplett erfunden sind?

Antwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

eingangs muss man erwähnen, dass die Beschäftigung mit den Überlieferungen (Hadith) eine Wissenschaft für sich ist und durchaus komplex werden kann. Damit die Antwort auf die Frage aber leicht zu lesen und zu verstehen ist, werden wir diesen Aspekt der Fragestellung eher oberflächlich halten.

Wichtig ist zu verstehen, dass die Sunna also die Prophetentradition mit dem Koran die wichtigste Quelle für die Erklärung und Argumentation von Geboten und Verboten im Islam bildet. Die Überlieferungen über die Taten und Aussagen des Propheten (s.a.s.) sind wiederum unser wesentlicher Zugang zur Prophetentradition. Die Überlieferungen und die Beschäftigung damit sind also in jedem Fall und unabhängig von der jeweiligen Ansicht eines Experten, eine wichtige Angelegenheit, wenn man über den Islam reden will.

Wenn man sich etwas intensiver mit der Wissenschaft der Überlieferungen auseinandersetzt, stößt man auf gewisse Fachbegriffe wie etwa „sahih“, (gesund, stabil) „dhayf“ (schwach) oder aber auch „musnad“ (lückenlos) so wie „mutawatir“ (vielfach überliefert).

Diese Begriffe beschreiben sozusagen Kategorien von Überlieferungen. Wichtig ist also zu verstehen, dass aus wissenschaftlicher Sicht nicht alle Überlieferungen gleichbehandelt werden. Gelehrte haben sich im Laufe der Zeit mit der Frage beschäftigt, wie man die Überlieferungen sichern kann, ihre Echtheit überprüfbar macht und wie belastbar sie sind. Daraus haben sich verschiedene Logiken entwickelt.

Einige dieser Klassifizierungen bzw. die entsprechenden Fachbegriffe stechen als besonders relevant heraus, denn sie kennzeichnen Überlieferungen, die als belastbar und bindend verstanden werden. Dazu gelten insbesondere;

  • Überlieferungen, die als „sahih“ eingestuft werden also im Kontext als echt und authentisch eingestuft werden. Bei dieser Logik geht es darum, wie authentisch eine Überlieferung ist.
  • Überlieferungen, die als „mutawatir“ eingestuft werden, also von einer Mehrzahl an Überlieferern tradiert wurde, wo es ausgeschlossen ist, dass alle sich geirrt hätten und die Überlieferung dennoch angreifbar wäre. Bei dieser Logik geht es darum, von wievielen Überlieferern man weiß.
  • Überlieferungen, die als „musnad“ eingestuft werden, wo es also eine zeitlich lückenlose Kette an Überlieferern gibt und daher eine Verfälschung ausgeschlossen wird. Bei dieser Logik geht es darum, ob durch eine vollständige Kette, eine Verfälschung ausgeschlossen werden kann.

Die Gelehrten haben diese Klassifizierungen mitunter erarbeitet, um somit zu klären, welche Überlieferungen zwingend akzeptiert werden müssen und damit einen, wie beim Koran, bindenden Charakter für die Religionsausübung haben. Diese Überlieferungen sind quasi unbestreitbar und können nicht ignoriert werden.

Dass ein Muslim besonders authentische und bindende Überlieferungen und damit eigentlich im Wesentlichen die Sunna ablehnt, ist undenkbar. (Vgl. İbn Hacer, Nüzhetü’n-Nazar, Sefir Matbaası, Riyad 1422, s. 197; Mahmut Tahhan, Teysir, Mektebetül-Maarif, Riyad 1425, s. 24-25)

Es ist also durchaus denkbar zu sagen, dass ein Muslim, der gerade die unbestreitbaren und bindenden Überlieferungen einfach ablehnt oder revidiert, zumindest mit einem Bein den Kreis des Islams verlässt. Denn er bestreitet mit diesem Schritt die Sunna an sich, welche als absolut wesentlich für den Islam gesehen wird.

Es werden aber längst nicht alle Überlieferungen, als bindend eingestuft. Es gibt Überlieferungen, die z.B. keine lückenlose Kette an Überlieferern haben oder aber die nur von ein bis zwei Überlieferern – also nicht von einer Mehrzahl – tradiert wurden. Das heißt aber längst nicht, dass diese Überlieferungen „falsch“ sind. Sie sind nur nicht absolut belastbar und als bindend zu verstehen. Diese Überlieferungen einfach und ohne Skrupel als „falsch“ und „unwichtig“ zu deklarieren, kann ebenfalls zu einem Fehltritt im Glauben führen, weil man so Gefahr läuft, eine nennenswerte Quelle der Sunna abgesprochen zu haben.

Es gibt natürlich einen großen Unterschied zwischen dem Ablehnen einer Überlieferung und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung damit. Gerade durch die wissenschaftliche Auseinandersetzung und durch die unnachgiebige Forschung vieler bedeutsamer Gelehrte durch die Zeit, haben wir ein so klares Bild über das Verständnis von Überlieferungen bekommen. Man kann also selbstverständlich einzelne Überlieferungen zum Gegenstand von Forschung machen, sie diskutieren, über ihre Aussage reflektieren etc. Dafür braucht es aber ein gewisses Maß an wissenschaftlicher Kenntnis und sicher auch die Reinheit in der Absicht, nämlich dass es darum geht, zu einer wissenschaftlichen Erkenntnis zu gelangen und somit die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen.  

Wer also nicht über die nötigen Kompetenzen dazu verfügt und auch sonst keinerlei Belege für die Ablehnung einer Überlieferung anführen kann, sollte sich vor solchen Schritten und Aussagen hüten. Er kann seinen eigenen Glauben und den Glauben anderer Menschen damit schwächen. Außerdem sollte man stets sein Herz überprüfen und sich fragen, warum man eigentlich denkt, die Überlieferungen könnte man ablehnen. Vielleicht ist es so, dass man so denkt weil das eigene Ego (nafs) unbewusst einen dazu lenkt und versucht Regeln und Wahrheiten im Islam abzubauen, damit die egoistischen Neigungen besser befriedigt werden können.  

Zusammengefasst: Wenn jemand sagen würde, dass die Überlieferungen und die Sunna eine komplette oder weitreichende Erfindung ist, müsste man sich sehr ernste Sorgen um den Glauben dieses Menschen machen.

Fragen an den islam

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