Gibt es logische Argumente für die Notwendigkeit von Rechtsschulen?
Gibt es logische Argumente für die Notwendigkeit von Rechtsschulen?
Gespeichert von am So., 06/03/2016 - 05:58
Liebe Leserin, lieber Leser,
Gott der Gerechte zeigt seine Zeichen auf zwei Arten. Die Erste Art sind die Zeichen wörtlicher Natur, die sich im Qurʾān finden lassen. Die zweite Art sind die Zeichen schöpferischer bzw. allmächtiger Natur, die sich in dem Kosmos beobachten lassen können. Von einem Vogel bis hin zu den Sternen, von einem Schmetterling bis hin zu den unzähligen Galaxien ist jede Schöpfung ein Zeichen dieser zweiten Natur, welches wir auch als „Buch der Schöpfung“ benennen. Wie im Qurʾān ist jede Schöpfung in diesem Kosmos eine Art Vers in diesem Buch der Schöpfung, welches von Anfang bis Ende von seinem Schöpfer berichtet.
Wir verstehen mithin die Zeichen im Buch der Schöpfung mit unserem Verstand nicht vollständig und brauchen in diesen Dingen Lehrer, die uns unterweisen können. Wir suchen z.B. für Informationen über die Zeichen im Himmel, wie etwa über die Sonne, den Mond, die Sterne etc. die Astrophysiker auf und lernen von ihnen was uns interessiert. Wir gehen nicht auf eigene Faust mit einem Teleskop ausgerüstet los und bestimmen nach eigenem Ermessen. Um das Meer und die Lebewesen darin zu verstehen berufen wir uns auf die Meeresbiologen. Wir kaufen uns jedenfalls keinen Taucheranzug und fangen plötzlich an in das Meer zu tauchen. Sein es Geographen, Physiker, Mediziner oder sonstige Fachleute, um etwas über eine spezielle Sache zu erfahren suchen wir die Leute auf, die sich professionell damit beschäftigen und darauf spezialisiert sind.
Auf dieselbe Art und Weise müssen wir die Fachleute konsultieren und sind auf sie angewiesen, wenn es darum geht die Zeichen des Qurʾāns und der prophetischen Überlieferungen („Ḥadīṯ“) zu verstehen. Eine Person, die ohne die Heranziehung der Fachleute den Qurʾān verstehen will, ist wie eine Person, die ohne die Heranziehung der Fachleute die Zeichen im Kosmos verstehen will. Beide werden lediglich mit ihrem untrainierten Ermessen urteilen und beide werden sich irren. Jemand der z.B. über die Astrophysik nicht das Geringste weiß wird denken, die Sonne ist so groß wie ein Apfel, während jemand mit mehr Vorwissen in diesem Gebiet wissen wird, dass die Sonne ein Vielfaches größer ist als die Erde. Ein mit dem Ingenieurswesen unvertrauter Mensch sieht beim Anblick eines Sees lediglich Wasser, der Ingenieur sieht aber den Damm hinter dem See und die potenzielle Energiequelle.
Je nach Fachbereich können wir noch lange Zeit solche Beispiele anführen. Die Gemeinsamkeit all solcher Beispiele ist folgender: Wir verstehen die Zeichen, die von der allmächtigen Feder des Schöpfers nur geringfügig und rufen für ein besseres Verständnis die jeweiligen Fachleute mitsamt ihrer Expertise herbei.
Wieso soll es so abwegig und unnötig sein, zum Verständnis des Qurʾāns auch Fachleute zu konsultieren, wenn wir für alle anderen Bereiche des Wissens Gleiches tun? Das eigentlich Kuriose ist, dass Der Mensch, der für die kleinsten und einfachsten Dinge im Leben einen Lehrer braucht, aber für die wichtigste Angelegenheit dieser Galaxie, der Religion Gottes keinen Lehrer braucht?
Zu den Menschen, die sagen, „Ich schöpfe mein eigenes Urteil selbst, die Lehrmeister der Rechtsschulen und die Gelehrten haben ja auch ihre Urteile aus dem Qurʾān und den Ḥadīṯ gezogen. Die Quellen sind klar, dann kann ich das doch auch machen.“ sagen wir folgendes: Ein Pharmazeut gewinnt den Stoff für seine Medikamente aus den Pflanzen. Demnach sind alle Medikamente aus den Stoffen der Pflanzen hergestellt. Dann braucht man auch nicht zur Apotheke zu gehen. Basierend auf so einer Logik wäre es naheliegend, auf die Berge zu steigen, auf der Suche nach diesen Pflanzen. Ob das vernünftig ist, muss aber wohl kaum beantwortet werden. In der Tat haben Pflanzen etwas mit der Pharmazie zu tun. Um aber Medikamente herzustellen, muss man über Jahre hinweg eine Ausbildung im Bereich der Chemie antreten und erfolgreich abschließen. Es ist wohl klar, dass man sich allenfalls nur selbst schaden würde, wenn man ohne so eine Ausbildung aus den, auf dem Berg gefundenen Pflanzen eine Mixtur erstellen würde.
Genauso müssen wir die spirituellen Heilmittel aus den Urteilen von Qurʾān und Sunna von den, wenn man so will, spirituellen Pharmazeuten in Form der Gelehrten erhalten und uns von ihnen helfen lassen. Diesen Gelehrten wurde nämlich dieses Wissen gegeben. Das heißt, dass eine Person, die die Rechtsschulen beiseitelegt, genauso gehandelt hat, wie die Person im Beispiel, die auf den Berg steigt um Pflanzen zu sammeln, aus denen er ein Medikament machen will.
Diese Person sagt vielleicht auch: „Alle Gesetze kommen aus dem Grundgesetzbuch. Ich habe dieses Buch von Anfang bis Ende gelesen und bin nun einem Jura Professor ebenbürtig. Ich muss nun nicht mehr auf den Jura Professor hören.“ Genauso wie man nicht zum Professor, durch einmaliges Lesen des Buches aufsteigt, so wird man auch nicht zum Gelehrten oder zum „Muǧtahid“ durch einmaliges Lesen des Qurʾāns.
Die Person denkt vielleicht auch so: „Ich werde die Gesetze der Physik selbst erforschen und darlegen. Ich brauche mich dazu nicht auf Einstein und dergleichen zu berufen und ihren Ergebnissen zu folgen. Die sind ja auch nur Menschen wie ich. Die haben auch nur mit Zahlen gewisse Rechnungen durchführt, das kann ich auch machen und zu denselben Ergebnissen kommen.“ Manches an diesem Satz stimmt. Einstein ist ein Mensch wie wir und im Rahmen seiner Arbeit hat er mit Zahlen und Rechnungen gearbeitet. Falsch ist es aber zu denken, jeder von uns könnte sich an die Stelle Einsteins stellen und wäre genauso begabt und produktiv wie er. Der Beweis dafür ist, dass die Zahl der Einsteins, die die Menschheitsgeschichte bisher hervorgebracht hat an einer Hand abzählbar ist. Wenn es so einfach wäre, das zu schaffen, was Einstein geschafft hat, gäbe es Tausende Wissenschaftler auf selben Niveau. Solche brillanten Geister tauchen nur selten auf, aber mit ihren Leistungen wissen sie zu überzeugen und sind über jene Zweifel erhaben. So gibt es vielleicht in der Tat einige Unwissende, die einen Imam Abu Hanifa zu kritisieren wagen, die gibt es immer, aber die überwältigende Mehrzahl erkennt die Größe dieser Persönlichkeit.
Es geht also nicht lediglich um die Zahlen. Es geht darum, die Zahlen richtig zu verwenden und daraus die richtigen Ergebnisse zu ziehen. Dementsprechend geht es auch nicht darum die geschriebenen Sätze in Qurʾān und Sunna einfach gelesen zu haben. Es geht darum, zwischen den Tausenden von Beschlüssen in Qurʾān und Sunna das richtige Urteil zu fällen. Dieses spezielle Talent und Wissen ist in den begründenden 4 Gelehrten der Rechtsschule äußerst ausgeprägt.
Ja, wir können mit viel Mühe auch versiert in der Rechtslehre und der Auslegung sein, aber wir werden niemals auf das Level dieser Gelehrten aufsteigen. Denn Gott hat ihnen eine besondere Eingebung geschenkt und von da an bis heute hat sich kein Geist mit vergleichbarer Eingebung und Schärfe gezeigt.
Dabei kann einer sich folgende Frage stellen: „Ich bin auch ein Gelehrter, warum kann ich nicht selbiges leisten und Iǧtihād betreiben?“ So würden wir darauf antworten: So wie das Recht und dessen Beschaffenheit („Ḥaqīqa“) eins ist, so veräußert er sich in den Individuen anders. Eine Fliege kann z.B. auch fliegen, aber nicht so wie ein Adler. Ein Getreidekorn sprießt anders als ein Samen für ein Baum. Ein Spiegel zeigt die Sonne, aber nicht so wie das Meer. Wie in diesen Beispielen veräußert sich auch das Wissen und die Beschaffenheit des Wissens bei uns anders. Die Beschaffenheit des Wissens der begründenden Rechtsgelehrten der 4 Rechtsschulen lässt sich mit unserem Wissen nicht vergleichen. In dessen Natur beziehen wir uns zwar auf dasselbe Wissen aber im genaueren Blick gibt es riesengroße Unterschiede.
Das würde folgender Situation gleichen: In der Grundschule gibt es das Fach Mathematik, aber von dort geht kein Ingenieur hervor. Denn was in der Grundschule an Mathematik gelehrt wird, reicht dafür noch nicht aus. Unsere Zeit und unser Zustand entsprechen der Grundschule in diesem Beispiel. Darin wird gelehrt und wir lernen, so werden wir ausgebildet, aber unser Niveau ist vergleichsweise noch niedrig. Denn für einen wahren Gelehrten, im Sinne eines Muǧtahid reicht das aktuelle Niveau unserer Zeit nicht aus. Warum dies so ist und wie dieser Unterschied genau aussieht ist eine andere Frage auf die wir nochmal zu sprechen kommen.
Das Fazit: So wie wir, wenn wir uns über etwas in dieser materiellen Welt informieren wollen/müssen, die speziellen Fachleute aufsuchen und ihrem Urteil vertrauen, so müssen wir auch die speziellen Fachleute aufsuchen und ihrem Urteil vertrauen, wenn wir uns in religiösen Angelegenheiten und Fragestellungen informieren wollen/müssen. Diese Experten sind in erster Linie die Rechtsgelehrten, die wir als Muǧtahid titulieren.
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