Wo stehe ich im Leben und wo will ich stehen? Wie ein Muslim sein Leben organisiert

Das Lebenskapital ist sehr klein. Die notwendigen Aufgaben aber sind sehr groß („11. Strahl/4. Problemstellung - „Bediüzzaman“ Said Nursi)

Manche Fragen und Angelegenheiten betreffen nicht immer alle Menschen. Die Aussage in diesem Zitat betrifft aber jeden von uns. Denn wir alle fangen das Rennen mit unserer Geburt an und sprinten unaufhörlich zu dem Grabstein, der unseren Namen trägt. Keinem von uns gelang es die Zeit zu verlangsam oder gar aufzuhalten, keinem von uns gelang es den Tod zu töten und keinem von uns gelingt es unsere schönsten Momente und Genüsse einzufrieren und ewig währen zu lassen. Unsere Jugend entgleitet uns und schließlich trennt sich irgendwann die Seele vom Körper. Es ist eindeutlich; Wir sind Reisende. Wir kommen auf die Welt und dabei ist die Welt nicht das Ziel sondern die Haltestelle durch die wir durchreisen um in das Jenseits, also das Ziel zu gelangen. In dieser Hinsicht und bezüglich dieser Reise sind wir alle gleich. Aber wir agieren in unserem Aufenthalt bei der Haltestelle „Erde“ sehr unterschiedlich. Jedem ist es in gewissen Grenzen frei gestellt, wie er seine Zeit in dieser Haltestelle nutzt. Da liegt die Frage nahe wie man diese Zeit denn nutzen sollte. Zwar sprechen wir hier sehr sinnbildlich aber in der Tat ist die Frage nach dem Sinn des Lebens und des Daseins für viele Menschen eine kritische Frage und wenn die Antwort der Frage nicht gefunden werden kann sucht der Mensch. Dabei ist die Antwort im Islam sehr eindeutlich:

Und Ich habe die Djinn und die Menschen nur dazu erschaffen, daß sie Mir dienen. (Sura aḏ-Ḏāriyāt 56)

Der Mensch ist also als Diener Gottes erschaffen worden, wenn er dies aber nicht erkennt oder akzeptiert, handelt er seinem Sinn und seiner Natur zuwider. Weil aber sein Gewissen und sein Verstand trotzdem nach dem Sinn des Daseins fragt, gibt es für den Menschen, der sich von Gott abwendet zwei Wege: Entweder sucht er sich einen Ersatz für die Antwort des Sinns im Vers oder er betäubt sein Gewissen und sein Verstand, damit sie ihn in Ruhe lassen. Beides stellt uns aber vor ein Problem. Sofern der Mensch seinen Sinn nicht im Jenseits findet, bleibt ihm nur noch die Welt und diese ist vergänglich. Egal was auch immer man in dem kurzen weltlichen Leben erreichen mag, es verlässt einen spätestens am Grab. Dieser Vers macht das deutlich:

Mit dem diesseitigen Leben ist es wie mit dem Wasser, das Wir vom Himmel herabkommen lassen, worauf die Pflanzen der Erde, wie sie die Menschen und das Vieh verzehren, sich damit vermengen. Wenn dann die Erde ihren Prunk angenommen und sich geschmückt hat und ihre Bewohner meinen, sie verfügen nun über sie, kommt unser Befehl über sie in der Nacht oder am Tag, und Wir machen sie zum abgemähten Land, als ob sie am Tag zuvor nicht in Blüte gestanden hätte. So legen Wir die Zeichen im einzelnen dar für Leute, die nachdenken. (Sura Yūnus 24)

Viele Menschen müssen dies bereits verstanden haben, denn sie flüchten sich in ein sehr ausschweifendes Leben, sie nehmen allerlei berauschende Stoffe zu sich, feiern und bleiben sonst auch möglichst beschäftigt. Sie lenken sich von der Wahrheit über Leben und Tod ab und versuchen sich möglichst zu vergnügen. Aber wie lange kann sich ein Mensch vergnügen der in einem Vehikel sitzt, welches ihn zum Galgen bringt? Der Tod ist ein starker Gleichmacher, er nimmt allen Vergnügen ihre Farbe und egalisiert alles. Es gibt eine (schwach eingestufte) Überlieferung über unseren Propheten (s.a.s.) demnach der Mensch in Verlust steht, wenn ein Tag einem anderen gleicht. Damit ist gemeint, dass der Mensch stets und immer fortschreitet im Zeitraffer ob er will oder nicht und dann geht er in das Jenseits über wo seine mitgebrachten Anlagen seinen Status im Jenseits bestimmen. Wenn er also seine Zeit, also sein Kapital ungenutzt verdorren lässt, ist er auf ewig im Verlust denn später hat er keine Möglichkeit mehr seine Situation zu bessern. Dazu gibt es zwei lesenswerte Abschnitte aus dem 6. Wort von „Bediüzzaman“ Said Nursi:

Dritter Gewinn: Der Wert aller Organe und Empfindungen steigt von eins auf tausend. Zum Beispiel: Unseren Verstand können wir gebrauchen wie ein Werkzeug. Verkaufst du ihn nicht Gott dem Gerechten, läßt du ihn vielmehr auf deine eigene (nefs) Rechnung arbeiten, so wird er zu solch einem unheilbringenden, aufdringlichen und lästigen Gerät, daß alles Leid und alle Traurigkeit vergangener Zeiten und all die furchteinflößenden Ereignisse der Zukunft sich in deinem bedauernswerten Kopf anhäuft, dich damit belastet, und dir somit zu einem Gerät wird, das dir Unglück und Schaden bringt und damit seinen Wert für dich verliert. Das ist auch der Grund dafür, daß der sündige Mensch, um sich vor seinem lästigen und aufdringlichen Verstand zu retten, so häufig der Trunksucht und dem Spiel verfällt, sich geradezu in sie hinein flüchtet. Verkaufst du ihn aber seinem wahren Besitzer und läßt ihn auf dessen Rechnung arbeiten, so wird dir dein Verstand zu einem Schlüssel, der dir die tiefen Wahrheiten, die Schatzkammern der grenzenlosen Barmherzigkeit und die Gewölbe verborgener Weisheit öffnet. So erhebt er sich auf die Stufe eines Wegweisers (mürschid) des Herrn, der seinen Besitzer zur ewigen Glückseligkeit führt.

Fünfter Verlust: Um die Grundlagen des ewigen Lebens und jenseitiger Glückseligkeit zu erwerben, wurde dir mit deinem Verstand und mit deinem Herzen, mit Auge und Zunge, das nötige Rüstzeug als wundervolles Geschenk des Erbarmers verliehen, doch du verwendest sie in so abscheulicher Weise, daß sie dir die Pforten der Hölle öffnen werden.

Es ist also ungeheuer wichtig, dass der Mensch den Sinn seines Daseins erkennt, zu Gott findet und sein Leben strukturiert. Für Muslime mögen die ersten beiden Punkte vielleicht gegeben sein, aber insbesondere der dritte Punkt stellt uns oftmals vor Schwierigkeiten. Wie ordnen wir unser Leben also und gehen sicher, dass wir auf der richtigen Spur bleiben? Allgemein gilt dieses Gesetz; wenn man sich nicht zu helfen weiß, geht man zu einem Experten. Der Experte ist der ehrenwerte Prophet Muḥammad (s.a.s.) und seine Behandlungsmethode nennen wir „Sunna“:

Gott hat mich als ein Lehrer zu euch gesandt. (İbn Hanbel, III, 328; İbn Mâce, I, 17.)

wer sich also an den Lehrer wendet, findet Antworten auf seine Fragen. Das muss aber auch geschehen, der Mensch muss sich also aktiv für sein Heil bemühen:

Daß für den Menschen nur das bestimmt ist, wonach er strebt (Sura an-Naǧm 39)

Der Mensch muss sich also immer fragen, wonach er eigentlich strebt und wie er dahin gelangt. Zum Wohlwollen Gottes erlangen wir mit diesen drei Bausteinen:

Die Absicht
Die Taten
Das Wissen

Alles fängt mit der Absicht an. Gott schaut nicht auf unsere äußerlichen Formen, aber in unser Herz. Das Herz muss zu Gott gewendet sein. Dies beweisen wir am besten durch unsere tugendhaften Taten. Wir achten die Gebote und Verbote Gottes und richten unser Leben demnach. Erst wenn Absicht und Tat in Einklang stehen wird der Mensch zum wahrhaftigen Diener Gottes. Jedes Gericht und jeder Richter richtet nämlich immer nach den äußerlich wahrnehmbaren Taten. Wer gegen ein Verbot wissentlich verstößt wird zur Rechenschaft gezogen, auch wenn er behauptet, dass seine Absicht gut war. Der Mensch muss Kenntnisse über all dies haben und wissen sowie verstehen was sich hinter den Geboten und Verboten steckt. Man kann Gott nicht kennenlernen, wenn man nichts über Gott weiß und man kann Gott nicht dienen, wenn man nicht weiß, wie genau das aussehen soll.

Wenn diese drei Bausteine zusammenkommen, dann findet der Mensch immer und jederzeit seinen Weg, denn er hat seinen Kompass richtig eingestellt. Wenn wir uns also fragen, ob unser Leben geordnet ist und wohin wir eigentlich steuern, müssen wir uns bezüglich dieser drei Bausteine hinterfragen; Welche Absicht hege ich gegenüber Gott im Herzen? Diene ich Gott oder meinen niederen Trieben mit meinen Handlungen? Kenne ich Gott zu Genüge?

Das Schöne dabei ist, dass wir verschieden sein dürfen. Wir müssen also nicht in die Moschee einziehen, die Arbeit niederlegen um 24 Stunden am Stück zu beten oder all unser Geld als Almosensteuer spenden. Denn die Autobahn, die zu Gottes Wohlwollen führt ist sehr breit. Wir alle können nebenher in die richtige Richtung fahren, dabei fährt der eine schneller und der andere langsamer. Wichtig ist es aber nicht unbedingt am schnellsten anzukommen, auch wenn das sehr wünschenswert ist, sondern überhaupt richtig anzukommen. Gott hat die Menschen unterschiedlich erschaffen, damit sie auf ihren Wegen zu Gott finden und dienen, denn wäre alles einheitlich besser gewesen, hätte Gott in seiner unendlichen Weisheit alle Menschen gleich erschaffen. Eine Welt, wo jeder Soldat ein Arzt, ein Soldat oder ein Schreiner wäre, ist undenkbar. Daher müssen wir, noch bevor wir mit den Finger auf andere zeigen, erstmal uns zur Rechenschaft ziehen und uns reformieren, statt zu versuchen andere einfach blind zu kopieren. Wenn jedoch andere Menschen schöne Eigenschaften und Tugenden haben, so sollte man sich davon inspirieren lassen. Wie in allen Dingen ist es aber wichtig erst mit kleinen Schritten anzufangen. Viele gute Vorsätze scheitern daran, dass sie zu weit gefasst werden und auf halber Strecke verfliegt die Motivation. Statt also zu versuchen direkt unser ganzes Leben zu ändern und von einem Mal zum anderen zum Vorzeigebild der Menschlichkeit zu mutieren, sollten wir erstmal unseren Tag überprüfen. Als Muslime fangen wir dabei bei der Säule unseres Tages, dem Gebet an. Beten wir regelmäßig? Falls nicht, dann sollten wir daran arbeiten, denn das fehlende Gebet verdunkelt den jeweiligen Abschnitt des Tages. Das regelmäßige Gebet erleuchtet aber den Tag und erfüllt unsere Pflicht gegenüber unserem Schöpfer. Im weiterem Schritt müssen wir uns fragen, ob wir heute unserem Schöpfer gedenkt haben. Falls wir dies nicht getan haben, sollten wir uns entsprechende Bücher als Tore des Wissens und täglich einige wenige Seiten lesen. Die Beständigkeit ist dabei wichtiger als die Menge. Wir können auch zu Vorlesungen gehen und uns zu anderen Glaubensbrüdern gesellen und mit ihnen gemeinsam sinnieren, denn die Barmherzigkeit und der Segen Gottes liegt stets auf der Gemeinde. Alleine zu sein bedeutet auch viel von diesem Segen und dieser Barmherzigkeit zu verpassen. Um unser Herz zu reinigen und unsere Absicht zu regulieren sollten wir oft Buße tun, also uns bemühen von den Sünden, die uns plagen abzusagen. Denn das mit Sünden behaftete Herz ist entzündet. Solange die Sünden es angreifen, kann es nicht atmen und die Entzündung verheilt nicht. Erst wenn die Sünden entfernt werden, heilt auch das Herz und die gute Absicht kommt mehr und mehr zum Vorschein. Man darf aber bloß nicht den Fehler begehen, den Glauben an Gottes Barmherzigkeit zu verlieren. Denn die Barmherzigkeit Gottes ist unendlich und ist groß genug um die Sünden aller Menschen zu verzeihen. In dem Kampf gegen die Sünde darf man also nicht missmutig werden. Wenn man täglich kleinschrittig auf diese Ziele hinarbeitet wird man von Tag zu Tag merken, wie die Seele mit dem Licht des Glaubens beleuchtet und gewärmt wird, die Seele und der Verstand Klarheit finden wird und das Leben zunehmend an Ordnung und Struktur gewinnt. Die wahren Helden und Gottesfreunde, die in diesen Dingen empor gestiegen sind, haben bereits auf der Welt ein himmlisches Leben gehabt und wandelten spirituell in Glückseligkeit. Vielleicht erreichen wir nicht unbedingt ihre Stufe, aber es ist uns frei gestellt, so weit zu kommen, wie wir nur können.      

 

Selam & Dua

Fragenandenislam - Team

 

 

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