Tragen Frauen Kopftuch/Hidschab, um die Lust der Männer zu verhindern?

Antwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Praxis der Verhüllung ist in erster Linie ein Gebot des Gehorsams gegenüber Allahs Gebot. Daher ist die Einstellung, die Begierde des anderen Geschlechts zu verhindern, allenfalls eine Weisheit, hinter dem Gebot auf sekundärer Ebene.

Und doch war ihnen nichts anderes befohlen worden, als Allah treu in lauterem Glauben zu dienen und das Gebet zu verrichten und die Zakah zu entrichten. Und das ist die Religion der Geradlinigkeit. (98/5)

Und Ich habe die Dschinn und die Menschen nur darum erschaffen, damit sie Mir dienen. (51/56)

Allah ist unendlich weise und unendlich barmherzig. Es ist daher nicht falsch, sich zu fragen, welchen Nutzen bestimmte Gebote und Verbote haben könnten. So stoßen wir immer wieder darauf, dass die Gebote und Verbote der Religion - wenn korrekt und authentisch angewandt - unser Leben bereichern, uns gesund halten und zum geistigen und materiellen Wohlstand in der Gesellschaft beitragen. Aber im Mittelpunkt steht immer, einzig und allein, die Anbetung und das Wohlwollen des Schöpfers. Die Beziehung zwischen dem Schöpfer und den Geschöpfen ist keine Beziehung, in der zwei Parteien ergebnisoffen über eine Sache diskutieren. Es ist eher eine Beziehung, wie wir sie zwischen einem Sultan und seinem Diener finden; der Sultan bestimmt und der Diener gehorcht. Wenn wir also ein rein fiktives Szenario nehmen würden, in dem es nur Frauen auf dem Planeten gäbe und keine Sexualität, dann müssten die Frauen trotzdem das Kopftuch tragen, wenn es die Religion so vorschreiben würde, einfach weil Allah es so will. Wenn die Frau dann sagen würde, "es gibt keine Männer, die mich anschauen, ich nehme dieses Kopftuch ab", dann hätte sie gegen Allahs Gebot verstoßen. Das Gleiche gilt für Männer, denn auch für Männer gibt es Bekleidungsvorschriften im Islam, wie zum Beispiel, dass der Bereich vom Bauchnabel bis zu den Knien bedeckt bleiben muss. In einem solchen fiktiven Szenario hätte sich der Mann auch gegen Allah aufgelehnt, wenn er gesagt hätte: "Es sind keine Frauen da, ich ziehe mich an, wie es mir gerade gefällt." 

Insofern ist die Bedeckung für Mann und Frau in erster Linie eine gottesdienstliche Handlung gegenüber Allah und im Mittelpunkt dieser gottesdienstlichen Handlung steht das Bestreben, ein Diener zu sein, der das Wohlwollen und die Gunst Allahs verdient. Das ist also die Motivation der Handlung. So bezeichnen auch die Begriffe "Halal" und "Haram" in erster Linie das, was in der Religion erlaubt und verboten ist. Zum Beispiel ist Schweinefleisch im Islam verboten, nicht weil es ungesund oder "schlecht" ist, sondern weil es so bestimmt ist. Die Barmherzigkeit Allahs erlaubt uns, in diesen Bestimmungen nach Weisheit für uns zu suchen, und so können wir durchaus feststellen, dass in so gut wie allen Dingen, die "haram" sind, etwas steckt, das für uns in irgendeiner Weise schädlich ist oder sein kann. Wir distanzieren uns aber nicht von diesen Dingen, um diese Vorteile zu genießen, sondern wir genießen diese Vorteile als Folge und Nebenwirkung unseres Gehorsams gegenüber Allah. Zum Beispiel fasten wir im Ramadan nicht, um Gewicht zu verlieren, sondern weil unser Schöpfer es von uns verlangt.  

Auch eine rein defizitäre Sichtweise passt nicht zur Religion. Wenn also die Weisheit hinter einem Gebot nur darin bestünde, ein Defizit, einen Makel oder eine Unzulänglichkeit an anderer Stelle zu beseitigen, dann bestünde der Anspruch an die Menschheit nur darin, Fehler zu korrigieren oder zu vermeiden. Wenn es also Bekleidungsvorschriften für Männer und Frauen nur gäbe, um die Sexualität im Zaum zu halten, dann würden wir sagen, dass die Sexualität an sich ein Problem ist und dass wir Maßnahmen brauchen, um einen Mindeststandard an Sitte und Anstand zu wahren. In diesem Verständnis dient das Gebot also nur dazu, ein Übel zu verhindern. Das ist nicht der Anspruch der Religion. In der Religion geht es nicht nur um Bewahrung, sondern auch um Aufbau. Begriffe wie "taqwah" beschreiben das ständige und dauerhafte Bemühen, das Streben nach dem Wohlwollen Allahs. Der Mensch wird also dazu angehalten, sein individuelles Potential bestmöglich auszuschöpfen. Es geht nicht um Stagnation, Überleben und Bewahrung, sondern um die permanente (Weiter-)Entwicklung von Tugend und Frömmigkeit, um die ständige Veranschaulichung des Bemühens des Dieners, seinem Schöpfer zu gefallen.

Jeder hat eine Richtung, der er sich zuwendet. So wetteifert miteinander in guten Werken. Wo immer ihr auch seid, Allah wird euch allesamt zusammenführen; wahrlich, Allah hat Macht über alle Dinge. (2/148)

Diese glauben an Allah und an den Jüngsten Tag und gebieten das, was Rechtens ist, und verbieten das Unrecht und wetteifern in guten Werken; und diese gehören zu den Rechtschaffenen. Und was sie an Gutem tun, wird ihnen niemals bestritten; und Allah kennt die Gottesfürchtigen. (3/114-115)

Es gibt also genügend Anhaltspunkte dafür, dass die Zügelung der Sexualität ein Aspekt der Bedeckungsvorschriften ist, dass es aber viel zu kurz gegriffen wäre, darin allein den Zweck dieser Vorschriften zu sehen. 

Fragen an den islam

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