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1-) Können Sie bitte Informationen zum Thema Rechtsschulen geben? Warum sind Rechtsschulen notwendig?

bestimmte Gruppierungen versuchen das Thema der Rechtsschule verkrampft immer wieder zu aktualisieren, um angeblich zu verdeutlichen, dass die Rechtsschulen im Islam ein Separationsfaktor seien. Zudem wird dabei versucht mit demagogischen Mitteln die reine Aufklärung des Sachverhalts zu besudeln, da bei näherer Betrachtung und geschichtlicher  Analyse des Themas offensichtlich wird, dass die Rechtsschulen aus einem Bedürfnis entstanden sind und nicht als Ursache für Zwietracht deklariert werden können.

Generell kann der Islam einerseits in Angelegenheiten der Glaubensfragen (Itikad) und andererseits  der Verhaltensregeln sowie des  Umgangs (amel) thematisiert werden.

Die Rechtsschulen beschäftigen sich mit dem praktizierenden Bereich. Da einige Handlungsmuster aus der Praxis und dem Verhalten des Propheten (s.a.s.), bei denen nur augenscheinlich beobachtbare Merkmale bzw. Einzelheiten überliefert wurden, verschieden interpretiert wurden, haben sich mehrere Rechtsschulen entwickelt. 

Beispielsweise wurde die Stirn des Propheten (s.a.s.) beim Beten durch einen kleinen, spitzen Stein, der sich in seine Haut verhakt hatte, zum Bluten gebracht. Seine Frau entfernte diesen von seiner Stirn. Darauf vollzog der Prophet (s.a.s.) erneut die rituelle Waschung und betete weiter. Während Abu Hanifa, auf den die hanafitische Rechtsschule zurückzuführen ist, den Bluterguss als Grund für die Erneuerung der rituellen Waschung deutet, wird von Imam Shafi, auf dessen Lehren die schafiitische Rechtsschule basiert, die Berührung der Frau als Ursache für die rituelle Waschung interpretiert. Hieraus wird ersichtlich, dass beide Rechtsurteile ein berechtigtes Indiz sowie einen Wahrheitsanspruch besitzen, da sie ihre Rechtsbestimmungen  aus der Sunna abgeleitet haben, und nicht als Zwietracht dargestellt werden können.

Die Entstehung der Rechtsschulen

Bis zu unserem Propheten (s.a.s.) wurden die Gesetzgebungen, Rechtnormen der gleichen Glaubenslehre bzw. Religion im Detail

immer wieder verändert. In derselben Zeitepoche wurden sogar an verschiedene Völker unterschiedliche  Scharia (Gesetze, Rechtnormen) gesandt. Jedoch wurde die religiöse Gesetzgebung durch den Gesandten Allahs vervollkommnet, so dass es anderen Konzessionen nicht bedurfte und allen Epochen genüge war bzw. ist.

In Detailangelegenheiten wurden jedoch Rechtsschulen benötigt, um auf die neuen gesellschaftlichen Veränderungen, Bedingungen und dem sozialen Wandel in einer gerechten Art und Weise zu antworten. Die wahren Rechtsschulen haben diese Aufgaben objektiv, würdevoll gemeistert und somit den Bedürfnisanforderungen der Menschheit ihren Dienst erwiesen. Als Wunder wurden diese großartigen Imame vom Propheten (s.a.s.) im Voraus erwähnt und gelobt, um ihre ausgezeichneten Charaktere und Dienste zu untermauern.  

Die Imame der Rechtsschulen waren stets respektvoll gegenüber einander und haben sich niemals gegenseitig ausgeschlossen. Sie hatten auch nie die Absicht unbedingt eine Rechtsschule zu gründen. Mit der Zeit wurden ihre Antworten und Rechtsurteile, die sie zu bestimmten Zeiten aufgrund besonderer Bedingungen sowie Bedürfnissen gaben, zusammengetragen und zu einer Rechtsschule entwickelt.  

Zum Beispiel:

Abu Hanifa sprach folgendermaßen, wenn er eine Fatwa (Rechtsurteil) verkündete, "Dies ist die Rechtsmeinung/Rechtsfindung von Nuʿmān ibn Ṯābit (Der Name von Abu Hanifa). Es ist die beste Rechtsmeinung/Rechtsfindung, die wir hervorbringen konnten. Wer einen bessere, genauere hat, so sei diese näher an der Wahrheit."

İmam Malik: “Ich bin nur ein Mensch. Hin und wieder mache ich auch Fehler. Deshalb solltet ihr meine Rechtsmeinung/Rechtsfindung untersuchen und kontrollieren. Wenn es dem Qur' an und der Sunna entspricht, nimmt es an, wenn nicht dann verweigert es.

Der Gründer der hambelitischen Rechtschule  Imam Ahmad Hanbal und Imam Schafi haben zu keiner Zeit absolute Vorherrschaftsmeinung beansprucht oder gar ihre Kollegen beleidigt oder kritisiert. Quelle: Hayreddin Karaman, Fıkıh Usul, 33

Kann es mehr als eine bindende, wahrheitsgetreue Rechtsleitung geben? 

Eins wurden in den Zeitungen den Muslimen in einer überheblichen Art entgegnet: "Es kann nur eine wahre Rechtleitung geben, wie kann es dann sein, dass die vier Rechtsschulen verschiedene und zum teil gegensätzliche Rechtsurteile haben?" Solch ähnliche Überschriften und Themen werden immer noch von einigen Medien als verwirrende Provokation benutzt.

Auf diese Frage antwortet  Bediüzzaman Said Nursi wie folgt:" Ein und dasselbe Wasser bekommt für fünf verschiedene Zustände oder Krankheitsbilder eine andere Bewertung und Bestimmung.

Folgend ist für jemanden, der enorm viel Wasserverlust hatte, das Wasser eine Lebensbedingung und somit Pflicht. Jedoch für einen anderen kann es wegen einer Operation so schädlich wie Gift sein. Aus medizinischer Sicht ist es für diesen verboten. Bei anderen Krankheitsfällen ist Wasser eventuell leicht schädlich. Demnach ist das Wasser medizinisch für so einen unerwünscht. Für einen anderen ist es nützlich und hat keine Nachteile. Medizinisch ist es für ihn wünschenswert. Für einen anderen ist das Wasser weder schädlich noch nützlich. Er möge es mit Genuss trinken, für ihn ist es lediglich erlaubt.“

Kann gesagt werden, dass das Wasser nur ein Heilmittel ist, nur eine Pflicht darstellt und keine andere Bestimmung hat?

Genauso wie dieses erscheinen die Gesetze Gottes in den Rechtsschulen entsprechend denjenigen, die sie befolgen.  Alle diese verschiedenen Variationen in den Details der Praxis sind anwendbar und richtig.

Der Gelehrte Scharani hat in seinem Werk “Mizan” die Rechtsurteile der Imame analysiert und deren Kriterien verdeutlicht sowie verglichen.

Ein Beispiel:

Die Imame der Rechtsschulen hatten in den islamischen Konzessionen bzw. Angelegenheiten keine Meinungsverschiedenheiten, sondern lediglich in der Art und Weise der Ausübung bzw. Praxis einige Differenzen. Beispielsweise sollte bei der rituellen Waschung der Kopf, wie sich alle Imame auch einig sind, mit einer nassen, wässrigen Hand befeuchtet werden.  In der Verrichtung bezüglich der Methode jedoch gibt es einige  Unterschiede.

In der Offenbarung wird dieses Gebot  mit dem Textabschnitt „bi ruusikum” wiedergegeben. Im Arabischem, welches eine sehr reiche und vielfältige Sprache ist, kann das „b“ zu Beginn der Textpassage unterschiedlich übersetzt werden. Das „b“ kann unter anderem als „verschönern“, „manche/ bestimmte“ oder  „anliegend“ erklärt bzw. übertragen werden.

Da die Imame der Rechtsschulen den Qur’ anvers unterschiedlich verstanden bzw. erläutert haben, haben sich einige Detailunterschiede in der praktischen Ausübung entwickelt 

Deshalb wurde von Imam Malik allgemein ausgelegt: “Beim bestreichen des Kopfes sollte der gesamte Bereich des Hauptes berührt werden, da der Buchstabe ‚b’ in diesem Zusammenhang von ihm als verschönern verstanden wird und sich somit  auf die gesamte Kopffläche bezieht.“ 

İmam Abu Hanifa sagte: “Das ‘b’ hat die Sinngebung in dieser Textstelle, der auf  einen bestimmten Bereich hinweist. Demnach genüge es ein Teil des Scheitels mit der nassen Hand zu berühren.” 

Von İmam Schafii wird das ‘b’ als anliegend berühren erklärt. Folgend genüge es, wenn schon einige Haarpartien berührt werden 

Alles in allem wird unverkennbar, dass die Rechtsschulen einwandfreie Rechtsurteile vollzogen haben und die Unterschiede im Detail kein Grund für Uneinigkeit sind.


2-) Gibt es logische Argumente für die Notwendigkeit von Rechtsschulen?

Gott der Gerechte zeigt seine Zeichen auf zwei Arten. Die Erste Art sind die Zeichen wörtlicher Natur, die sich im Qurʾān finden lassen. Die zweite Art sind die Zeichen schöpferischer bzw. allmächtiger Natur, die sich in dem Kosmos beobachten lassen können. Von einem Vogel bis hin zu den Sternen, von einem Schmetterling bis hin zu den unzähligen Galaxien ist jede Schöpfung ein Zeichen dieser zweiten Natur, welches wir auch als „Buch der Schöpfung“ benennen. Wie im Qurʾān ist jede Schöpfung in diesem Kosmos eine Art Vers in diesem Buch der Schöpfung, welches von Anfang bis Ende von seinem Schöpfer berichtet.

Wir verstehen mithin die Zeichen im Buch der Schöpfung mit unserem Verstand nicht vollständig und brauchen in diesen Dingen Lehrer, die uns unterweisen können. Wir suchen z.B. für Informationen über die Zeichen im Himmel, wie etwa über die Sonne, den Mond, die Sterne etc. die Astrophysiker auf und lernen von ihnen was uns interessiert. Wir gehen nicht auf eigene Faust mit einem Teleskop ausgerüstet los und bestimmen nach eigenem Ermessen. Um das Meer und die Lebewesen darin zu verstehen berufen wir uns auf die Meeresbiologen. Wir kaufen uns jedenfalls keinen Taucheranzug und fangen plötzlich an in das Meer zu tauchen. Sein es Geographen, Physiker, Mediziner oder sonstige Fachleute, um etwas über eine spezielle Sache zu erfahren suchen wir die Leute auf, die sich professionell damit beschäftigen und darauf spezialisiert sind.

Auf dieselbe Art und Weise müssen wir die Fachleute konsultieren und sind auf sie angewiesen, wenn es darum geht die Zeichen des Qurʾāns und der prophetischen Überlieferungen („Ḥadīṯ“) zu verstehen. Eine Person, die ohne die Heranziehung der Fachleute den Qurʾān verstehen will, ist wie eine Person, die ohne die Heranziehung der Fachleute die Zeichen im Kosmos verstehen will. Beide werden lediglich mit ihrem untrainierten Ermessen urteilen und beide werden sich irren. Jemand der z.B. über die Astrophysik nicht das Geringste weiß wird denken, die Sonne ist so groß wie ein Apfel, während jemand mit mehr Vorwissen in diesem Gebiet wissen wird, dass die Sonne ein Vielfaches größer ist als die Erde. Ein mit dem Ingenieurswesen unvertrauter Mensch sieht beim Anblick eines Sees lediglich Wasser, der Ingenieur sieht aber den Damm hinter dem See und die potenzielle Energiequelle.

Je nach Fachbereich können wir noch lange Zeit solche Beispiele anführen. Die Gemeinsamkeit all solcher Beispiele ist folgender: Wir verstehen die Zeichen, die von der allmächtigen Feder des Schöpfers nur geringfügig und rufen für ein besseres Verständnis die jeweiligen Fachleute mitsamt ihrer Expertise herbei.

Wieso soll es so abwegig und unnötig sein, zum Verständnis des Qurʾāns auch Fachleute zu konsultieren, wenn wir für alle anderen Bereiche des Wissens Gleiches tun? Das eigentlich Kuriose ist, dass Der Mensch, der für die kleinsten und einfachsten Dinge im Leben einen Lehrer braucht, aber für die wichtigste Angelegenheit dieser Galaxie, der Religion Gottes keinen Lehrer braucht?

Zu den Menschen, die sagen, „Ich schöpfe mein eigenes Urteil selbst, die Lehrmeister der Rechtsschulen und die Gelehrten haben ja auch ihre Urteile aus dem Qurʾān und den Ḥadīṯ gezogen. Die Quellen sind klar, dann kann ich das doch auch machen.“ sagen wir folgendes: Ein Pharmazeut gewinnt den Stoff für seine Medikamente aus den Pflanzen. Demnach sind alle Medikamente aus den Stoffen der Pflanzen hergestellt. Dann braucht man auch nicht zur Apotheke zu gehen. Basierend auf so einer Logik wäre es naheliegend, auf die Berge zu steigen, auf der Suche nach diesen Pflanzen. Ob das vernünftig ist, muss aber wohl kaum beantwortet werden. In der Tat haben Pflanzen etwas mit der Pharmazie zu tun. Um aber Medikamente herzustellen, muss man über Jahre hinweg eine Ausbildung im Bereich der Chemie antreten und erfolgreich abschließen. Es ist wohl klar, dass man sich allenfalls nur selbst schaden würde, wenn man ohne so eine Ausbildung aus den, auf dem Berg gefundenen Pflanzen eine Mixtur erstellen würde.  

Genauso müssen wir die spirituellen Heilmittel aus den Urteilen von Qurʾān und Sunna von den, wenn man so will, spirituellen Pharmazeuten in Form der Gelehrten erhalten und uns von ihnen helfen lassen. Diesen Gelehrten wurde nämlich dieses Wissen gegeben. Das heißt, dass eine Person, die die Rechtsschulen beiseitelegt, genauso gehandelt hat, wie die Person im Beispiel, die auf den Berg steigt um Pflanzen zu sammeln, aus denen er ein Medikament machen will. 

Diese Person sagt vielleicht auch: „Alle Gesetze kommen aus dem Grundgesetzbuch. Ich habe dieses Buch von Anfang bis Ende gelesen und bin nun einem Jura Professor ebenbürtig. Ich muss nun nicht mehr auf den Jura Professor hören.“ Genauso wie man nicht zum Professor, durch einmaliges Lesen des Buches aufsteigt, so wird man auch nicht zum Gelehrten oder zum „Muǧtahid“ durch einmaliges Lesen des Qurʾāns.

Die Person denkt vielleicht auch so: „Ich werde die Gesetze der Physik selbst erforschen und darlegen. Ich brauche mich dazu nicht auf Einstein und dergleichen zu berufen und ihren Ergebnissen zu folgen. Die sind ja auch nur Menschen wie ich. Die haben auch nur mit Zahlen gewisse Rechnungen durchführt, das kann ich auch machen und zu denselben Ergebnissen kommen.“ Manches an diesem Satz stimmt. Einstein ist ein Mensch wie wir und im Rahmen seiner Arbeit hat er mit Zahlen und Rechnungen gearbeitet. Falsch ist es aber zu denken, jeder von uns könnte sich an die Stelle Einsteins stellen und wäre genauso begabt und produktiv wie er. Der Beweis dafür ist, dass die Zahl der Einsteins, die die Menschheitsgeschichte bisher hervorgebracht hat an einer Hand abzählbar ist. Wenn es so einfach wäre, das zu schaffen, was Einstein geschafft hat, gäbe es Tausende Wissenschaftler auf selben Niveau. Solche brillanten Geister tauchen nur selten auf, aber mit ihren Leistungen wissen sie zu überzeugen und sind über jene Zweifel erhaben. So gibt es vielleicht in der Tat einige Unwissende, die einen Imam Abu Hanifa zu kritisieren wagen, die gibt es immer, aber die überwältigende Mehrzahl erkennt die Größe dieser Persönlichkeit.

Es geht also nicht lediglich um die Zahlen. Es geht darum, die Zahlen richtig zu verwenden und daraus die richtigen Ergebnisse zu ziehen. Dementsprechend geht es auch nicht darum die geschriebenen Sätze in Qurʾān und Sunna einfach gelesen zu haben. Es geht darum, zwischen den Tausenden von Beschlüssen in Qurʾān und Sunna das richtige Urteil zu fällen. Dieses spezielle Talent und Wissen ist in den begründenden 4 Gelehrten der Rechtsschule äußerst ausgeprägt. 

Ja, wir können mit viel Mühe auch versiert in der Rechtslehre und der Auslegung sein, aber wir werden niemals auf das Level dieser Gelehrten aufsteigen. Denn Gott hat ihnen eine besondere Eingebung geschenkt und von da an bis heute hat sich kein Geist mit vergleichbarer Eingebung und Schärfe gezeigt.

Dabei kann einer sich folgende Frage stellen: „Ich bin auch ein Gelehrter, warum kann ich nicht selbiges leisten und Iǧtihād betreiben?“ So würden wir darauf antworten: So wie das Recht und dessen Beschaffenheit („Ḥaqīqa“) eins ist, so veräußert er sich in den Individuen anders. Eine Fliege kann z.B. auch fliegen, aber nicht so wie ein Adler. Ein Getreidekorn sprießt anders als ein Samen für ein Baum. Ein Spiegel zeigt die Sonne, aber nicht so wie das Meer. Wie in diesen Beispielen veräußert sich auch das Wissen und die Beschaffenheit des Wissens bei uns anders. Die Beschaffenheit des Wissens der begründenden Rechtsgelehrten der 4 Rechtsschulen lässt sich mit unserem Wissen nicht vergleichen. In dessen Natur beziehen wir uns zwar auf dasselbe Wissen aber im genaueren Blick gibt es riesengroße Unterschiede.    

Das würde folgender Situation gleichen: In der Grundschule gibt es das Fach Mathematik, aber von dort geht kein Ingenieur hervor. Denn was in der Grundschule an Mathematik gelehrt wird, reicht dafür noch nicht aus. Unsere Zeit und unser Zustand entsprechen der Grundschule in diesem Beispiel. Darin wird gelehrt und wir lernen, so werden wir ausgebildet, aber unser Niveau ist vergleichsweise noch niedrig. Denn für einen wahren Gelehrten, im Sinne eines Muǧtahid reicht das aktuelle Niveau unserer Zeit nicht aus. Warum dies so ist und wie dieser Unterschied genau aussieht ist eine andere Frage auf die wir nochmal zu sprechen kommen.

Das Fazit: So wie wir, wenn wir uns über etwas in dieser materiellen Welt informieren wollen/müssen, die speziellen Fachleute aufsuchen und ihrem Urteil vertrauen, so müssen wir auch die speziellen Fachleute aufsuchen und ihrem Urteil vertrauen, wenn wir uns in religiösen Angelegenheiten und Fragestellungen informieren wollen/müssen. Diese Experten sind in erster Linie die Rechtsgelehrten, die wir als Muǧtahid titulieren.


3-) Sind neue Rechtsurteile („İǧtihād“) bezüglich islamischer Angelegenheiten noch möglich?

Rechtsurteile („İǧtihād“) erfordern in der Auslegung bestimmte Basiskonzessionen und bedürfen in diesem Zusammenhang neun Bedingungen bzw. Voraussetzungen:

1- Das Beherrschen der arabischen Sprache in Grammatik und Semantik, da sich das Rechtsquellenverständnis an dem Qurʾān und der Sunna orientiert. Diese wiederum wurden in der arabischen Sprache niedergeschrieben.


2- Ausführliches Verständnis und Wissen über die inhaltliche Zeichensystematik, Syntax, historische Lexikologie sowie allgemeine Bedeutungslehre (Semantik), Entscheidungskriterien zu spezifischen Thematiken, Entwicklungs- und Normhierarchie, Abrogation („nasḫ”) sowie deren Beziehungsstrukturen im Qurʾān.


3- Detailliertes Wissen bezüglich der Sunna (Lebensweise, Verhalten, Handlungsmuster, Äußerungen, Rechtssprüche…) des Propheten Muḥammad (s.a.s.)


4- Wissen über die Thematik mit dem sich die Rechtsangelegenheit befasst und deren theoretische Sachverhaltsbeschreibungen, wie („Iǧmāʾ“) Übereinkunft (der religiösen Autoritäten) oder differenzierende Perspektiven („Iḫtilāf“). Über die historische Gegebenheit eines Konsens („Iǧmāʾ“) gibt es keinen Zweifel, da die Prophetengefährten in vielen Angelegenheiten keine Meinungsverschiedenheit („Iḫtilāf“) hatten. Jedoch wurde von dem Gelehrten „Aḥmad ibn Hanbal“ die Ansicht vertreten, dass es nach der Ära der der Prophetengefährten keine grundlegende Übereinkunft („Iǧmāʾ“) mehr gab. Obwohl er die religiösen Übereinkünfte der ersten Generationen nach den Prophetengefährten nicht verleugnete, wurden sie als Entscheidungskriterium von ihm nicht akzeptiert.

5- Wissen über die Strukturen und Vergleichsgrundlagen beim Analogieschluss („qiyas“) und deren Bestimmungsregeln


6- Quellenverständnis der islamischen Urteils- bzw. Rechtsbestimmungen sowie deren Zweck und Zielsetzung.


7- Die kognitive Befähigung das Rechte („Ḥaq“) vom Falschen („Bāṭil“) nach den fachspezifischen Verhältnismäßigkeiten und Kriterien unterscheiden zu können.

8- Eine ehrliche und rechtschaffene Haltung sowie Gesinnung bezüglich rechtswissenschaftlichen Bestimmungen und islamischen Angelegenheiten

 

9- Aufrichtige Einstellung zu den Verbindlichkeiten der Glaubenslehre und die Ablehnung von theologischer Häresie („Bidʿa“)
 

Alles in allem wird deutlich, dass der Entscheidungsprozess von islamischen Rechtsbestimmungen keine einfach zu regelnde Disziplin ist.

Nicht jeder kann sich als bildende Instanz für Rechtsurteile deklarieren. Anhand von ideellen Engagements, die auf abweichenden Ideologien bzw. auf einem inkompatiblem Quellenverständnis basieren, kann keiner in islamischen Angelegenheiten als legitime Instanz anerkannt werden.

Grundsätzlich sind neue Rechtsurteile („İǧtihād“) jederzeit möglich. So wie es in der ersten Epoche (zur Zeit des Propheten sowie der Prophetengefährten) möglich war, wird es auch zu allen Zeiten möglich sein. Es muss nur eine Autorität vorhanden sein, welche die Vorraussetzungen für solch eine Urteilsbestimmung („İǧtihād“) besitzt. Zu behaupten, dass nur zu dieser oder jener Zeitepoche eine neue Urteilsbestimmung („İǧtihād“) durchführbar war, ist falsch.

Demnach kann eine historische Einschränkung bezüglich der Entwicklung von Rechtsbestimmungen („İǧtihād“) weder nachgewiesen noch determiniert werden, da die Befähigung zu solch einer statischen Doktrin von niemandem erteilt wurde.


4-) Können sie uns grundlegende Informationen über das Wort "makruh" geben?

das Wort „makruh“, das sich von der Wurzel „karh“ (kurh, karahat, karâhiyyat) ableitet, die laut Wörterbuch „hässlich finden, schlecht sehen, nicht wollen; Mühe, Ärger, Schwierigkeit“ bedeutet, bedeutet „etwas, das Schwierigkeiten und Ärger mit sich bringt, etwas, das unangenehm, hässlich und schlecht ist“. Neben denjenigen, die sagen, dass „karh“ und „kurh“ die gleiche Bedeutung haben, gibt es auch Sprachwissenschaftler, die behaupten, dass es einen Unterschied zwischen ihnen gibt.

Makruh ist demnach ein Verhalten, das aus religiöser Sicht nicht angemessen ist, von dem man sich wünscht, dass es unterlassen wird, und bei dem es besser ist, es nicht zu tun, als es zu tun.

Nach dem Hanafi Madhab wird makruh in zwei Teile unterteilt: tahriman makruh und tanzihan makruh.

Tahriman makruh ist etwas, das dem Haram nahe steht. Zum Beispiel, etwas nicht zu tun, was Pflicht ist. Es ist verpflichtend, etwas nicht zu tun, was als tahriman makruh eingestuft wird, und wenn man es tut, ist man ein Sünder und wird bestraft.

Tenzihan makruh ist etwas, das in der Nähe des Erlaubten liegt. Zum Beispiel das Verlassen der Sunna und der guten Form („adab“) des Gebets. Es gibt keine Belohnung für etwas, das tanzihan makruh ist, und keine Strafe für etwas, das tanzihan makruh ist, aber es gibt eine Art moralische Verurteilung.

Nach der Schafi'i Madhhab gibt es nur eine Art von Makruh. Sie umfasst alles, was die Shari'ah im Geiste fordert, aber nicht offiziell und für alle verbindlich macht. Wer sich davor hütet, wird gelobt und belohnt, wer es tut, wird nicht verurteilt oder bestraft.

Für das Grundverständnis des Begriffs könnte man sich das vielleicht so merken: Makruh ist immer auch eine Form der Bewertung und kein neutraler Begriff. Wo immer also das Wort makruh auftaucht, können wir davon ausgehen, dass es sich um etwas aus religiöser Sicht Unerwünschtes handelt.

„Karh“ bezieht sich auf eine Notlage, die ein Mensch aufgrund äußeren Drucks ertragen muss, während „kurh“ eine unangenehme Situation bezeichnet, die er freiwillig erträgt. Es gibt zwei Arten: das, was er von Natur aus nicht mag, und das, was er von der Vernunft oder den Regeln der Religion her nicht gutheißt. Wenn also jemand sagt: „Ich will es, aber ich finde es unangenehm“, kann es sein, dass er damit meint: „Ich will es von meinem Gemütszustand her, aber ich billige es nicht von der Vernunft oder von der Scharia her“, oder umgekehrt. Ikrah bedeutet „jemanden zu einer Handlung zwingen, die er nicht will und die ihm nicht gefällt“.

Im heiligen Koran und in den Hadithen werden die von der Wurzel kerh abgeleiteten Wörter häufig in ihrer lexikalischen Bedeutung verwendet. „Makruh“ wird in dem Vers erwähnt;

„Das Übel all dieser Dinge ist hässlich in den Augen deines Herrn“ (17/38)

In den vorherigen Zeilen wird näher beschrieben, was alles damit gemeint sein mag;

"Und tötet eure Kinder nicht aus Furcht vor Armut; Wir sorgen für sie und für euch. Wahrlich, sie zu töten ist ein großer Fehler. Und kommt der Unzucht nicht nahe; seht, das ist eine Schändlichkeit und ein übler Weg. Und tötet nicht das Leben, das Allah unverletzlich gemacht hat, es sei denn zu Recht. Und wer da ungerechterweise getötet wird - dessen Erben haben Wir gewiß Ermächtigung (zur Vergeltung) gegeben; doch soll er im Töten nicht maßlos sein; denn er findet (Unsere) Hilfe. Und tastet nicht das Gut der Waise an, es sei denn zu (ihrem) Besten, bis sie die Reife erreicht hat. Und haltet die Verpflichtung ein; denn über die Verpflichtung muß Rechenschaft abgelegt werden. Und gebt volles Maß, wenn ihr messt, und wägt mit richtiger Waage; das ist durchaus vorteilhaft und letzten Endes das Beste. Und verfolge nicht das, wovon du keine Kenntnis hast. Wahrlich, das Ohr und das Auge und das Herz - sie alle sollen zur Rechenschaft gezogen werden. Und wandle nicht ausgelassen (in Übermut) auf der Erde; denn du kannst weder die Erde durchbrechen, noch kannst du die Berge an Höhe erreichen." (17/31-37)

Al-Ghazālī stellt fest, dass das Wort „makruh“ bei den Rechtsgelehrten in verschiedenen Bedeutungen verwendet wird, und erklärt sie wie folgt;

1. im Sinne von „das, was verboten ist (verboten)“. Imam Shafi'i hat oft gesagt: „Ich finde es verwerflich“, im Sinne von „verboten“.

2. in der Bedeutung von „tanzihan verboten“. In diesem Sinne bedeutet makruh, dass es besser ist, eine Handlung zu unterlassen, als sie zu tun, auch wenn es keine Strafe für die Handlung gibt.

3. im Sinne von „Verzicht auf das Angemessene, auch wenn es nicht verboten ist“. Man würde also aus religionsethischen Gründen auf eine Sache verzichten, auch wenn es keinen Befehl dazu gibt.

4. Im Sinne von „wo es Zweifel und Bedenken bezüglich des Verbots gibt“. Zum Beispiel das Essen von Fleisch von Raubtieren. Makruh ist diesem Sinne sind jedoch offen für den Ijtihad. Wenn der ijtihad eines Mujtahids ihn zu dem Schluss führt, dass die betreffende Handlung haram ist, ist das aus Seiner sicht auch so, aber aus der Sicht eines anderen Mujtahids, dessen ijtihad ihn zu dem Schluss führt, dass sie halal ist, ist es halal, und es gibt für ihn keinen Grund mehr, über makruh zu sprechen.

Wenn jedoch die Meinung des zweiten Mujtahids in diesem Beispiel von Zweifeln im Herzen begleitet wird, ist es nicht schädlich, das Wort makruh für diese Angelegenheit zu verwenden, selbst wenn seine eigene professionelle Schlussfolgerung etwas anderes gesagt hätte.

Als Kompass in dieser Frage können wir eine Überlieferung des ehrenwerten Propheten (Friede sei mit Ihm) verwenden:

"Sünde ist das Unbehagen des Herzens." (vgl. Mustasfâ, 1/66-67)

Das Herz, das uns sagt, dass sich die Entscheidung "nicht gut" anfühlt, kann also ein wichtiger Indikator dafür sein, wie wir schließlich handeln sollen. Die Überlieferung könnte also auch so verstanden werden, dass man mit reinem Herzen und Gewissen feststellen kann, ob man vor einer Sünde steht oder nicht.

Der Begriff kann darüber hinaus auch die Funktion haben, uns im Falle einer Entscheidung den Weg zum richtigen Handeln zu weisen. Man sehe hierfür folgenden Vers;

O ihr, die ihr glaubt, wenn zum Freitagsgebet gerufen wird, dann eilt zum Gedenken Allahs und stellt den Geschäftsbetrieb ein. Das ist besser für euch, wenn ihr es nur wüßtet. (62/9)

Die Aufforderung „Hört auf zu kaufen“ in diesem Vers ist eigentlich ein Ausdruck, der „nicht zu kaufen“ bedeutet, d.h. es ist verboten, während des Freitagsgebets zu kaufen. Andere Belege und der Kontext zeigen jedoch, dass dieses Verbot nicht darauf beruht, dass das Kaufen und Verkaufen an sich als schlecht angesehen wird, sondern darauf, dass es den Betreffenden daran hindert, das Freitagsgebet zu verrichten. Mit anderen Worten, das Einkaufen ist nur dann makruh, wenn es, wie in diesem Beispiel, eine Pflicht verhindert. Wenn wir sagen würden, dass Einkaufen haram ist, dann wäre es immer und für alle haram und wir hätten erhebliche Probleme.

Eine andere Funktion des Begriffs kann es sein, zur besseren Handlung zu motivieren.

„Die beste mahr (oder Ehe) ist die einfache.“ (Ebû Dâvûd, "Nikâh", 31)

Die Überlieferung zeigt uns, was die bessere Richtung wäre (weniger materielle Kosten), und folglich würde eine Tendenz in die andere Richtung, d.h. die unnötige Erhöhung der Kosten, als makruh, d.h. als unerwünscht bezeichnet werden.

Nach Auffassung der meisten Rechtsgelehrten zieht die Begehung einer Makruh-Handlung keine Strafe nach sich, sondern gilt als verwerfliches (eines Muslim unwürdiges) Verhalten; wer sich um Allahs willen solcher Handlungen enthält, ist lobenswert und verdient Belohnung.

Darüber hinaus werden einige Verhaltensweisen, die wegen ihres weltlichen Nutzens („maslaha“) als makruh gelten, wie Essen und Trinken, Kleidung, Sauberkeit, Beziehungen zwischen Mann und Frau, Ehemann und Ehefrau, Kaufen und Verkaufen, in den Abschnitten „kerâhiye und istihsan“ der Fiqh- und Ilmihal-Bücher sowie in den Ethik- und âdâb-Büchern gesondert behandelt. (Vgl. TDV. İslam Ansiklopedisi, Mekruh md.)