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1-) Müssen wir Verwandte besuchen die wir nicht gut finden oder nicht mögen weil sie andere Werte haben?

die familiären Bände sollten nicht durchschnitten werden. Das als richtig zu deklarieren, fällt schwer. Auch wenn wir über unliebsame oder gar sündige Menschen reden, so sollten wir sie versuchen zu heilen, statt sie einfach ihren Fehlern zu überlassen.

Das islamische Konzept von Verwandschaftsbeziehungen (auch bekannt als "Sila-i-Rahim") befehligt uns im Grunde genommen gute Beziehungen mit der Verwandschaft zu haben (vgl. 16/90 u. 17/23-24). Auch in Überlieferungen wird man zu guten Beziehungen ohne Erwartung an Gegenleistung ermahnt, ob allgemein oder in Verwandschaftsbeziehungen (Vgl. Buhari, Adab 12, 15).

Beziehungen und Freundschaften lassen sich an guten Tagen leicht aufrecht halten. Man lacht und hat Spaß. Aber gerade in schweren Zeiten oder in Zeiten der Not sollte doch eine Beziehung in Kraft treten und einem Halt oder Stärke geben. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Person mit langsamen Schritten sich in ihr Verderben bewegt, ohne es zu merken. Das kann sowohl ein materielles als auch ein spirituelles Verderben sein. 

Die islamische Ethik würde also mit Zuversicht und Barmherzigkeit auf diese Menschen schauen und uns dazu ermutigen, ihnen zu helfen. Die Hilfe würde darin bestehen, sie von ihrem Fehlverhalten abzuhalten oder sie es sehen zu lassen, weil sie es selber nicht erkennen können. Das kann man auch als "tabligh" (Mission bzw. Einladung) verstehen und somit als Gottesdienst betrachten:

Und warne die Nächsten deiner Sippe (26/214)

Nun muss man auch sagen, dass wir hier über allgemeine Wertvorstellungen reden. Es ist zu schauen, was praktisch umsetzbar ist. Es ist und muss klar sein, dass niemand zum Glauben oder zur Rechtleitung gezwungen werden kann. Ebenso kann auch unser Gegenüber uns den Rücken zukehren und wir können nichts daran ändern. Außerdem kann ein jeder Mensch auch nur so viel aushalten. In manchen Fällen hilft sogar ein gewisses Maß an Distanz, damit der Konflikt abkühlen kann und man sich begegnen kann, ohne das gleich eine Eskalation folgt.

Was kann man also konkret umsetzen? Als Muslime geben wir keine Geschwister auf und sehen Rechtleitung sowie Urteil stets bei Gott. Wir maßen uns also nicht an, zu sagen wer schon verloren ist oder nicht und um wen man sich noch bemühen braucht oder nicht. Als empathische und einfühlsame Menschen gehen wir allerdings immer behutsam mit Mitmenschen um und wahren sowie respektieren Grenzen. Wenn unser Gegenüber unsere ausgestreckte Hand im ersten Moment nicht annimmt, so bleibt unsere Hand trotzdem immer ausgestreckt, falls die Person einmal abkehren sollte und dann nach eben dieser Hand sucht. Als verzeihende Menschen achten wir immer darauf, niemanden ein schlechtes Gefühl zu machen und niemanden an seine Fehler zu erinnern. Als Menschen aus Fleisch und Blut müssen wir auch achten, wo eigene Grenzen sind und wo man selbst verletzlich ist. Es ist wenig ratsam, jemanden heilen zu wollen, wenn man selbst krank ist. Und man kann auch mit niemanden vernünftig reden, wenn man selbst gerade unvernünftig ist.