FAQ Häufigsten Fragen zum Moral

1 Müssen Männer sich nicht auch bedecken?

bevor man inhaltlich auf diese Frage eingeht, sollten zwei grundsätzliche Aspekte besprochen werden:

Viele Menschen setzen Gleichberechtigung und Gerechtigkeit gleich. Wobei absolute Gleichberechtigung, also dass alles in jeder Hinsicht gleichbehandelt wird, im Kontrast zur Gerechtigkeit steht.

Ein Poet wählt für sein Gedicht, jedes Wort (im Hinblick auf den Gesamtkontext) mit Bedacht aus. Er wählt jedes Wort mit Hinsicht auf die Gesamtheit seiner Poesie aus. Und auch jeden Vers gestaltet er entsprechend der Gesamtheit seiner Poesie. Hier ist die Essenz nicht absolute Gleichberechtigung, sondern Gerechtigkeit. Der erste Vers findet am Anfang Platz und der letzte Vers findet am Ende Platz, sie dienen aber dem selbem Zweck. 

Ein Fabrikant ordnet die Größe seiner Fabrik, die Einteilung, die Gerätschaften und alles bis hin zur kleinsten Schraube im Betrieb nach einer Sinnmäßigkeit und Gerechtigkeit ein. Und dies ergibt eine perfekte Fabrik. Absolute Gleichheit (z.B. in den Gerätschaften) würde diese Ordnung zerstören. 

Ein Maler bzw. Künstler agiert genauso. In jedem seiner Porträts platziert er seine Verzierungen mit großer Präzision genau in die vorgesehene Stelle. Die Formen und Farben werden hierbei nicht nach absoluter Gleichmäßigkeit, sondern nach Gerechtigkeit eingeteilt. Er nutzt die Farben dort, wo sie am besten platziert wären. Er gestaltet die Formen (in seiner Kunst) so wie es am besten passt. Und dies ergibt ein perfektes Porträt.
Genauso bezieht sich die Wirkung und die Tätigkeiten Gottes im Universum nicht etwa auf Gleichberechtigung, sondern auf Gerechtigkeit. Wenn alle Menschen absolut gleich wären, so würden Beziehungen oder Bezeichnungen wie z.B.  Vater und Sohn gar nicht erst auftreten können. Und bei solch einer absoluten Gleichheit würde ein gesellschaftliches Leben bestehend aus Befehlshabern, Befehligten, Bauern, Geschäftsleuten, Lehrern, Arbeitgebern, Arbeitnehmern etc. gar nicht erst entstehen können.

Der andere grundsätzliche Aspekt bezieht sich auf allgemeingültige Regeln und einzelnen Bestimmungen, die sich den äußeren Umständen anpassen. Generell wäre es wohl verkehrt, einen Sonderfall oder eine Ausnahme als Startpunkt zu nehmen, um ein allgemeingültiges Gesetz zu formulieren. Man darf z.B. das Briefgeheimnis in besonderen Situationen aufheben, allgemein gilt jedoch das Briefgeheimnis. Es wird nur zu ganz besonderen Situationen und dann auch nur für diesen einen Moment und Zweck aufgehoben. Danach gilt das Gesetz wieder ganz normal. So beziehen sich islamische Regeln, Vorstellungen und Argumentationen auf allgemeingültige Ordnungssysteme, die den Menschen schützen und ihm nützlich sein sollen. Dabei kann es durchaus sein, dass nicht jeder Einzelne genau gleich groß von einer Gefahr bedroht wird. Die allgemeine Regel soll aber Ordnung schaffen und generellen Schutz vor dieser Gefahr bieten. Man nehme z.B. das Gesetz, dass man nicht über eine rote Ampel fahren darf. Dieses Gesetz gilt immer. In der Stadt gibt es aber viel mehr Verkehr als in ländlichen Gebieten. Trotzdem gilt das Gesetz überall gleich, da es sonst kaum möglich wäre, jeden einzelnen Fall auch einzeln zu bewerten, also für jeden Fahrer und jeden Ort ein individuelles Ampelsystem zu errichten.

Im Bezug auf die Fragestellung heißt das also, dass Mann und Frau gemäß ihren Unterschiedlichkeiten nicht einfach als gleich im Sinne von identisch behandelt werden. Ihre Unterschiedlichkeiten werden auf gerechte Weise gewürdigt in einer islamischen Ordnung. Allgemein gelten für Mann und Frau aber dieselben Maßstäbe und sie sind vor dem Schöpfer gleich wert. Dazu einige exemplarische Verse aus dem Koran;

Gewiß, muslimische Männer und muslimische Frauen, gläubige Männer und gläubige Frauen, ergebene Männer und ergebene Frauen, wahrhaftige Männer und wahrhaftige Frauen, standhafte Männer und standhafte Frauen, demütige Männer und demütige Frauen, Almosen gebende Männer und Almosen gebende Frauen, fastende Männer und fastende Frauen, Männer, die ihre Scham hüten und Frauen, die (ihre Scham) hüten, und Allahs viel gedenkende Männer und gedenkende Frauen – für (all) sie hat Allah Vergebung und großartigen Lohn bereitet. (33/35)

(Das ist so,) damit Allah die Heuchler, Männer und Frauen, und die Götzendiener, Männer und Frauen, straft und sich den Gläubigen, Männern und Frauen, Reue Annehmend zuwendet. Allah ist Allvergebend und Barmherzig. (33/73)

Wer aber, sei es Mann oder Frau, etwas an rechtschaffenen Werken tut, und dabei gläubig ist, jene werden in den (Paradies)garten eingehen, und es wird ihnen nicht ein Dattelkerngrübchen Unrecht zugefügt. (4/124)

Wer rechtschaffen handelt, sei es Mann oder Frau, und dabei gläubig ist, den werden Wir ganz gewiß ein gutes Leben leben lassen. Und Wir werden ihnen ganz gewiß mit ihrem Lohn das Beste von dem vergelten, was sie taten. (16/97)

Es wird also deutlich, dass Mann und Frau als Diener Gottes erstmal gleich sind. Die generellen Ordnungs- und Wertesysteme des Islams adressieren sie gleichermaßen. Die daraus abgeleiteten konkreten Regeln, Ausnahmeregelungen und Handlungsanweisungen für bestimmte Situationen sind dann aber spezifisch und daher nicht immer gleich.

Die Bedeckung bzw. der hidjab ist eine seit jeher uns Menschen begleitende Notwendigkeit, ein Segen und ein Gottesdienst. Dass Hz. Ādam und Hz. Ḥawwā von der verbotenen Frucht aßen und infolgedessen sie ihre gegenseitigen Schamzonen bemerkt hatten und diese versuchten, mit den Blättern im Paradies zu verdecken, kann man auch als ein Hinweis auf die Beziehung zwischen dem Verbotenem und dem Entblößen verstehen.

Die koranischen Begriffe sind in Bezug auf die Gebote und Verbote in der Kleidung vielfältig. Diese Verschiedenheit weist darauf hin, dass die Kleidung viele verschiedene Zwecke erfüllen kann oder soll.

Das Wort "tesettür" welches türkischstämmige Muslime im Alltag üblicherweise für die Bedeckung der Frau benutzen, kommt so im Qurʾān nicht vor. Das Wort hidjab kommt jedoch vor. Daher kann es durchaus sein, dass in verschiedenen kulturellen Kreisen die Muslime anders mit den Begrifflichkeiten umgehen.

Wir könnten sagen, dies sind die grundlegendsten Funktionen der Bekleidung;

- Die Schamzonen oder das von Gott uns Anvertraute zu schützen und vor anderen zu hüten.

- Sich ausreichend vor dem Klima zu schützen.

- Den Anstand, die Reinheit bzw. auch die Keuschheit und die muslimische Identität den anderen aufzuzeigen und sich damit zu schmücken.

Dies sind alles Handlungen, die von Gott als Segen deklariert sind und von denen ein Teil der Mensch auf ganz natürliche Weise vollzieht oder vollziehen will.

Diese beiden Funktionen sind für die Verhüllung insbesondere wichtig: die Bedeckung der Schamzonen und das Vermitteln der Anstand sowie der muslimischen Identität gegenüber anderen.

Aus dem koranischen Ausdruck "dass sie erkannt und so nicht belästigt werden" (vgl. 33/59) könnte man dies entnehmen. Daraus resultiert auch die Bedeutung, dass, ob Mann oder Frau, man die sexuelle Anziehungskraft nicht gegenüber anderen zur Schau stellen darf und man nicht das Recht hat, die Blicke anderer auf sich zu ziehen, um ihnen zu gefallen.

Im Konkreten bedecken sich Männer und Frauen nicht genau gleich. Frauen bedecken z.B. auch ihre Haare und bedecken ihren gesamten Körper. Männer bedecken in der Regel den Bereich zwischen Bauchnabel und Knie (vgl. Müsned, III, 478 und vgl. Ebû Dâvûd. Li­bâs, 37; Dârekutni, 1, 230, 231). Man kann auch den Hinweis finden, dass die Knie selbst auch noch zu den Schamzonen des Mannes gehören und daher bedeckt werden sollen (vgl. Zeylai, Nasbu'r-Raye, I/297).

Wenn auch auf den ersten Blick die Regeln für Frauen strenger zu sein scheinen, merkt man auf den zweiten Blick, dass auch der Mann sich ebenso streng Gedanken um sein äußeres Erscheinungsbild machen müsste. Denn um seinen Bauchbereich und den Hüftbereich abzudecken, braucht es in aller Regel mindestens schonmal ein Oberteil wie ein T-Shirt und eine Hose. Die Schamzonen sollen nicht nur mit Textil bedeckt werden, sie müssen auch unkenntlich gemacht werden. Für den Mann würde das also heißen, dass man nicht allzu enge Oberteile und Hosen anziehen sollte. Darin besteht ja auch die generelle Funktion der Kleidung, die Schamzonen zu bedecken. Das gilt für beide Geschlechter (vgl. Fetavay-ı Ankaravî, I/167). Rein pragmatisch und realistisch gedacht resultiert daraus die Konsequenz, dass auch der Mann sich im Alltag vollständig bedecken muss.

Nun muss man auch den geschichtlichen und kulturellen Kontext bedenken. In früheren Generationen und mehrheitlich muslimischen Gesellschaften, war es vielleicht leichter, den Anstand zu wahren und ein gottesfürchtiges Leben zu leben. Denn die Bestimmungen des Islam waren allgegenwärtig und tonangebend. In damaligen Gesellschaften war die Bedeckung für den Mann vielleicht nicht so diskussionswürdig. Im heutigen Deutschland haben wir aber völlig andere Verhältnisse. Es ist viel leichter zu sündigen und es gibt dafür auch viel mehr Wege und Möglichkeiten. Sexuelle Freizügigkeit ist viel präsenter, während das Leben nach religiösen Bestimmungen manchmal schwierig ist, z.B. im beruflichen Alltag. Da die Gesellschaft mehrheitlich nichtmuslimisch ist und die Bestimmungen des Islam auch nicht tonangebend sind, kann man sich auch nicht darauf verlassen, dass die gesellschaftliche Sitte einen bremst. Mit anderen Worten; wir leben in einer Zeit, wo Zügellosigkeit erlaubt und zugleich leicht umsetzbar ist.

Damit muslimische Männer und Frauen ihre Sittlichkeit und ein gottesfürchtiges Leben führen können, müssen sie also viel bewusster und konzentrierter auf sich Acht geben. Das mag man als Argument dafür verstehen, warum in heutigen Zeiten Männer ebenso streng und feinfühlig wie Frauen auf ihr äußeres Erscheinungsbild und ihr Sozialverhalten achten sollten, mit der Frage im Hinterkopf, ob es denn zu den islamischen Bestimmungen und Werten passen würde.

Abschließend kann man sagen: Im Islam ist die Bedeckung von Mann und Frau nicht genau gleich bestimmt. Aber der Wert hinter der Bedeckung, nämlich die Scham und den Anstand im islamischen Sinne zu wahren, gilt für Mann und Frau gleich. Nach diesem Verständnis geht das Thema der Bedeckung viel weiter als nur die Kleidung. Die Bekleidung ist dann nur ein Teil eines Wertesystems, was das Sozialverhalten und das äußere Erscheinungsbild insgesamt mitdenkt. Dieser Blickwinkel ist für Mann und Frau gleich, weil Mann und Frau gleichermaßen als Diener Gottes nach Gottes Geboten und Verboten leben müssen. Daher ist die Bedeckung für Mann und Frau gleichermaßen ein relevantes Thema.   

2 Stimmt es dass man den höchsten Palast im Paradies bekommt wenn man gutes Benehmen hat?

das ist die besagte Überlieferung:

"Ich verbürge mich dafür, dass derjenige, der nicht streitet und zankt, auch wenn er im Recht ist, ein Haus am Rande des Paradieses erhalten wird. Ich verbürge mich dafür, dass derjenige, der nicht lügt, auch nicht im Scherz, ein Haus in der Mitte des Paradieses erhält, und ich verbürge mich dafür, dass derjenige, der gutmütig ist, ein Haus im höchsten Teil des Paradieses erhält." (Ebu Davud, Edeb 7)

Der Prophet (Friede sei mit ihm) spricht zunächst zwei schlechte Angewohnheiten an und bittet darum, sie aufzugeben, und erwähnt die Belohnungen, die denjenigen zuteil werden, die diese Angewohnheiten aufgeben, und erklärt dann, dass derjenige, der von allen schlechten Angewohnheiten gereinigt ist, den höchsten Grad erreicht.

1. es ist eine gute Angewohnheit, nicht zu streiten, auch wenn es gerechtfertigt ist

Es ist eine hässliche Angewohnheit, eine Ungerechtigkeit, kurz gesagt, Grausamkeit, zu argumentieren, um sich selbst Recht und andere Unrecht zu geben, und zu versuchen, die andere Person zu demütigen.

Es ist auch nicht richtig, zu versuchen, den anderen zwanghaft von der eigenen Meinung zu überzeugen. Denn wenn die andere Partei sich weigert, ihr Wissen oder die Meinung aufzugeben, kann es zu unangenehmen Ereignissen kommen. Es kann mehr Schaden als Nutzen entstehen.

2. es ist eine gute Angewohnheit, nicht zu lügen, auch wenn es ein Scherz ist

Eine der schlechten Angewohnheiten ist die Lüge. Jemanden, der an uns glaubt und uns vertraut, durch eine Lüge zu täuschen, bedeutet, ihn zu verraten.

Selbst eine Lüge im Scherz zu erzählen ist hässlich. Unser Prophet (Friede sei mit ihm) sagte, um die bösen Taten derjenigen aufzuzeigen, die Lügen zur Belustigung der Menschen erzählen:

"Wehe dem, der eine Lüge erzählt, um die Leute zum Lachen zu bringen; wehe ihm; wehe ihm" (Abu Dawud, Edeb 80; Tirmidhi, Zuhd 10)

3. gutes Verhalten ist gute Moral und Anstand

Gute Sitten, die wir als gute Umgangsformen bezeichnen, sind die wertvollste Tugend des Menschen. Allah sagt:

"Ihr habt die schönsten Sitten" (68/4)

Die Muslime nähern sich Allah und Seinem Gesandten in dem Maße, in dem sich ihr Verhalten verbessert, und so gewinnen sie ein Anrecht auf ihre Liebe.

Ein schlecht gesitteter Mensch bemitleidet sich selbst vor anderen. Denn dieser Zustand ist eine Krankheit, die nicht so leicht heilen wird, vielleicht ist es eine Krankheit, die ihn ein Leben lang nicht verlassen wird.

Es wird erzählt, dass Abdullah Ibn Mubarak sich während einer Reise mit einem schlecht gesitteten Mann angefreundet hatte. Er versuchte, mit dem Mann mitzugehen, zu tun, was er sagte, um ihn nicht zu verletzen. Als die Reise zu Ende war und er seinen schlecht gelaunten Freund verließ, begann Ibn Mubarak zu weinen, als ob er einen sehr lieben Freund verlassen würde. Zu denen, die sich über seinen Zustand wunderten, sagte er Folgendes:

Ich weine, weil ich diesen Mann bemitleide, denn die Reise ist vorbei und ich habe ihn verlassen, aber seine schlechten Gewohnheiten sind immer noch da.

Ein gesunder Mensch sollte sich bemühen, sich selbst zu kennen, seine schlechten Gewohnheiten zu finden und zu versuchen, sie loszuwerden.

Demnach:

- Man sollte sich von nutzlosen Argumenten fernhalten, auch wenn man Recht hat.

- Man soll nicht lügen, auch nicht im Scherz.

- Die Menschen, die Allah, der Erhabene, am meisten liebt, sind diejenigen, die sich im Sinne der religiösen Ethik vorbildhaft haben.

Diejenigen, die diese Eigenschaften besitzen, erhalten als Belohnung Paläste in verschiedenen Teilen des Paradieses. (Riyazü's Salihin - İmam Nevevi Tercüme ve Şerh)

 

3 Müssen wir Verwandte besuchen die wir nicht gut finden oder nicht mögen weil sie andere Werte haben?

die familiären Bände sollten nicht durchschnitten werden. Das als richtig zu deklarieren, fällt schwer. Auch wenn wir über unliebsame oder gar sündige Menschen reden, so sollten wir sie versuchen zu heilen, statt sie einfach ihren Fehlern zu überlassen.

Das islamische Konzept von Verwandschaftsbeziehungen (auch bekannt als "Sila-i-Rahim") befehligt uns im Grunde genommen gute Beziehungen mit der Verwandschaft zu haben (vgl. 16/90 u. 17/23-24). Auch in Überlieferungen wird man zu guten Beziehungen ohne Erwartung an Gegenleistung ermahnt, ob allgemein oder in Verwandschaftsbeziehungen (Vgl. Buhari, Adab 12, 15).

Beziehungen und Freundschaften lassen sich an guten Tagen leicht aufrecht halten. Man lacht und hat Spaß. Aber gerade in schweren Zeiten oder in Zeiten der Not sollte doch eine Beziehung in Kraft treten und einem Halt oder Stärke geben. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Person mit langsamen Schritten sich in ihr Verderben bewegt, ohne es zu merken. Das kann sowohl ein materielles als auch ein spirituelles Verderben sein. 

Die islamische Ethik würde also mit Zuversicht und Barmherzigkeit auf diese Menschen schauen und uns dazu ermutigen, ihnen zu helfen. Die Hilfe würde darin bestehen, sie von ihrem Fehlverhalten abzuhalten oder sie es sehen zu lassen, weil sie es selber nicht erkennen können. Das kann man auch als "tabligh" (Mission bzw. Einladung) verstehen und somit als Gottesdienst betrachten:

Und warne die Nächsten deiner Sippe (26/214)

Nun muss man auch sagen, dass wir hier über allgemeine Wertvorstellungen reden. Es ist zu schauen, was praktisch umsetzbar ist. Es ist und muss klar sein, dass niemand zum Glauben oder zur Rechtleitung gezwungen werden kann. Ebenso kann auch unser Gegenüber uns den Rücken zukehren und wir können nichts daran ändern. Außerdem kann ein jeder Mensch auch nur so viel aushalten. In manchen Fällen hilft sogar ein gewisses Maß an Distanz, damit der Konflikt abkühlen kann und man sich begegnen kann, ohne das gleich eine Eskalation folgt.

Was kann man also konkret umsetzen? Als Muslime geben wir keine Geschwister auf und sehen Rechtleitung sowie Urteil stets bei Gott. Wir maßen uns also nicht an, zu sagen wer schon verloren ist oder nicht und um wen man sich noch bemühen braucht oder nicht. Als empathische und einfühlsame Menschen gehen wir allerdings immer behutsam mit Mitmenschen um und wahren sowie respektieren Grenzen. Wenn unser Gegenüber unsere ausgestreckte Hand im ersten Moment nicht annimmt, so bleibt unsere Hand trotzdem immer ausgestreckt, falls die Person einmal abkehren sollte und dann nach eben dieser Hand sucht. Als verzeihende Menschen achten wir immer darauf, niemanden ein schlechtes Gefühl zu machen und niemanden an seine Fehler zu erinnern. Als Menschen aus Fleisch und Blut müssen wir auch achten, wo eigene Grenzen sind und wo man selbst verletzlich ist. Es ist wenig ratsam, jemanden heilen zu wollen, wenn man selbst krank ist. Und man kann auch mit niemanden vernünftig reden, wenn man selbst gerade unvernünftig ist.

4 Können wir die Leute auch beleidigen die Gott selber beleidigt?

zunächst einmal ist festzustellen, dass der Ausdruck "Gott beleidigt" mit dem islamischen Anstand und der Moraltheologie unvereinbar ist. Denn das Wort Beleidigung impliziert Ungerechtigkeit und Unterdrückung, sowie einen Täter, der seinen Emotionen erliegt. Das kann nicht Gott sein. Stattdessen ist es angemessener, ein konkretes Beispiel zu nennen und darüber zu reflektieren, wie zum Beispiel: "Möge der Fluch Gottes auf den Unterdrückern liegen".

Wenn wir jedoch aufpassen, wird außer Abu Lahab kein Name einer Person genannt, die im Koran verflucht wird. Jedenfalls ist der Zweck des Korans, "nicht den Winzer zu schlagen, sondern die Trauben zu essen". Das soll also heißen, dass Flüche, Feindschaften und Hassgefühle niemals den Fokus des Glaubens darstellen und somit auch nicht weiter als irgendwie nötig erwähnt werden.

Diese Haltung des Korans ist eine Lehre für uns, dass es gegen den islamischen Anstand verstößt, Menschen zu verunglimpfen, indem man einzelne Personen identifiziert. Diese Ethik spiegelt sich auch im Leben des Propheten (Friede sei mit Ihm).

Aus diesem Grund ist es dem Islam zufolge nicht richtig, die Grausamkeit oder Blasphemie bestimmter Personen beim Namen zu nennen. Was vielleicht angegriffen werden sollte, ist der Akt der Unterdrückung und der Akt des Unglaubens. Es geht also um die Taten der Personen und nicht um Personen insgesamt.

Da eine Sache mehrere Ursachen hat, kann es sein, dass die mörderische Eigenschaft (die sich äußerlich in dieser Person widerspiegelt) nicht das Ergebnis der Verdorbenheit des Herzens ist, sondern vielleicht das Ergebnis einer äußeren Ursache. Auch dann kann man also nicht ohne Weiteres von der Eigenschaft auf den Menschen schließen und ihn so beurteilen. (Vgl. Sünuhat-Tuluat-İşarat, 28)

So wie ein barmherziger Arzt die Krankheit bekämpft und nicht den Patienten, sollten wir aus Mitgefühl und Barmherzigkeit die geistigen Krankheiten der Menschen bekämpfen und nicht ihre Persönlichkeiten.

Darüber hinaus sollten einige der Ausdrücke, die Gott gegen schlechte Handlungen, schlechte Ideen und schlechtes Verhalten verwendet, als Erklärung der Strafe verstanden werden, die ein solches Verhalten verdient, und nicht als "Fluch oder Vorwurf".

Der Ausdruck "Möge Gottes Fluch auf den Übeltätern ruhen" ist beispielsweise als Lehre zu verstehen, dass "die Eigenschaft des Übeltäters ein Verhalten ist, das die Menschen von der Barmherzigkeit Gottes abbringt".

Da der Heilige Koran in der von Menschen gesprochenen arabischen Sprache verfasst wurde, verwendet er natürlich die von seinen menschlichen Adressaten verwendete Terminologie. Die Existenz einiger dieser Ausdrücke ist ein Verweis auf die Regeln und Grundsätze der jeweiligen Sprache. Es ist also auch wichtig, sich mit solchen Fragestellungen philologisch also sprachwissenschaftlich auseinanderzusetzen. Jedenfalls sind einfache Übersetzungen von Texten in diesem Kontext manchmal irreführend.

Insgesamt kann man also sagen, dass die Ethik der Religion es verbietet, Menschen pauschal zu hassen und die jeweiligen Stellen im Koran, dienen nicht als Einladung dazu sondern verkünden die Gräueltat, die im Jenseits zur Strafe führt. Darüber hinaus liegen diese Deklarationen einzig und allein in der Verfügung Gottes. Sich in Gottes Angelegenheiten einzumischen wäre anstandslos.