Schrittweise Offenbarung des Koran
Warum spricht es für die Weisheit Gottes, dass der Koran schrittweise über einen Zeitraum von 23 Jahren offenbart wurde?
Der Koran wurde nicht als ein vollständiges Buch in einem einzigen Akt der Enthüllung, sondern in mehreren Etappen über einen Zeitraum von 23 Jahren offenbart. Für diese Vorgehensweise sprechen neben der Weisheit Gottes noch zahlreiche andere Gründe, die wir, so Gott will, hier darlegen werden. Bevor wir jedoch damit beginnen, wollen wir zunächst anmerken, dass - wenn der Koran nicht auf diese Weise, sondern auf einmal offenbart worden wäre - es mit Sicherheit auch Menschen gegeben hätte, die fragen würden: „Warum wurde er als ein vollständiges Buch in einem einzigen Akt der Enthüllung offenbart, und nicht in mehreren Etappen über einen längeren Zeitraum hinweg?“ Wenn wir uns mit dem Thema Religion befassen, ist es besonders wichtig, dass wir eine demütige und bescheidene Haltung einnehmen, damit wir Einsicht gewinnen und die Vorteile der Anordnungen und Vorschriften Gottes genießen können. Andernfalls könnte man unendlich viele ähnliche Fragen stellen, ohne dass man eine befriedigende Antwort erhielte: Warum etwa besteht das Mittagsgebet aus einer bestimmten Anzahl von Gebetseinheiten, während das Gemeinschaftsgebet am Freitag eine andere Anzahl aufweist? Warum liegt der Armensteuersatz bei 2.5% und nicht bei 2%? Die Bedeutung und die Dauer bestimmter Gebete, der Armensteuersatz und andere Angelegenheiten dieser Art wurden von Gott, dem Weisen und Allwissenden, festgelegt. Alles, was wir erforschen, können wir nur aus einem schmalen Blickwinkel heraus betrachten; weil wir erschaffene Geschöpfe sind, ist unser Denken unfertig und unzulänglich. Wir verstehen gerade einmal das, was direkt vor unseren Augen geschieht, und wenn wir Entscheidungen treffen, tun wir das so, wie es uns unser Verstand gerade gebietet. Die Fähigkeiten, die wir uns bis zum Moment einer Entscheidung angeeignet haben, unsere tägliche Routine, unser Lebensstil und Lebensstandard - all diese Dinge fließen in unsere Entscheidungen mit ein. Das Gesetz Gottes dagegen berücksichtigt alles: Unser moralisches und spirituelles Wohlergehen ebenso wie unser irdisches Glück in der Zukunft und in der Gegenwart. Aus den einzelnen Bestandteilen webt es ein Muster, in dem auch Würde und Weisheit ihren Platz finden. Daher zieht der Mensch aus den Geboten Gottes einen unermesslichen Nutzen. Die Wohltaten, die ihm zufließen, wenn er den Geboten gehorcht, übersteigen seine Vorstellungskraft.
Die Essenz des Gehorsams gegenüber Gott liegt darin, dass man während seines Lebens die Anordnungen Gottes hinnimmt und ihnen Folge leistet; wenn wir über dieses Thema reden, dann nur mit dem einen Ziel, die Weisheit, die dem Prinzip innewohnt so zu verstehen, wie sie ist. Keineswegs haben wir die Absicht, die Denkweise Gottes zu hinterfragen.
Der Beginn der Offenbarung des Koran lag in einer Zeit, in der die Menschheit begann, erwachsen zu werden. Aus diesem Grund wurde der Prophet Muhammad, das makellose Vorbild der Menschheit, das Beispiel, das wir studieren und dem wir folgen müssen und um dessentwillen das Universum überhaupt erschaffen wurde, gerade zu jener Zeit mit seiner Mission betraut. Die Berufung des Propheten Muhammad, Friede sei mit ihm, und seiner umma (der Gemeinschaft der Muslime), die sich um ihn scharte, sollte zum vollkommenen, fortschrittlichsten und dynamischsten Maßstab der Menschheit werden. Sie sollte es den Menschen ermöglichen, die oberste Sprosse menschlichen Fortschritts zu erklimmen und zu Leitfiguren aller ihnen nachfolgenden zivilisierten Menschen zu werden. Erst einmal mussten diese Reformer aber selbst reformiert werden. Ihre Qualitäten und Charaktereigenschaften waren zutiefst von den Lebensgewohnheiten geprägt, die sie Zeit ihres Lebens verinnerlicht hatten. Der Islam sollte ihre guten Eigenschaften in Eigenschaften von unübertroffener Qualität verwandeln, sie darüber hinaus aber auch von ihren schlechten Eigenschaften und Angewohnheiten befreien. Ziel der Offenbarung war es, ihre Laster auszumerzen und diese durch Tugendhaftigkeit und ehrgeiziges moralisches Streben so zu ersetzen, dass diese Veränderung für alle Zeiten bestehen bleiben würde. Wäre die Offenbarung des Koran in einem einzigen Akt erfolgt und hätte der Koran mit all seinen Verboten und Vorschriften die Lebensweise der Menschen angegriffen, hätten sie ihn niemals in der gebotenen Weise verstehen, geschweige denn akzeptieren und handhaben können. Eine solche Vorgehensweise stünde sogar im Widerspruch zu dem Kurs, den die Menschen steuern sollten, um die Gesetze Gottes nach und nach auszuführen und zu entwickeln: Seit damals hat sich der Islam in jedem Teil der Welt, in den er getragen wurde, langsam aber stetig ausgebreitet und tiefe Wurzeln geschlagen.
Heutzutage sehen wir Menschen, die ganz und gar unfähig sind, sich von ihren schlechten Gewohnheiten und Süchten zu befreien. An dieser Stelle seien nur das Rauchen, Trinken und die Einnahme anderer Drogen genannt. Würde man versuchen, solche Menschen zu bestrafen oder sie von den negativen Auswirkungen ihrer Verhaltensweisen und dem Vorteil, sie aufzugeben, zu überzeugen, so wären sie dennoch nicht zufrieden; ganz im Gegenteil: sie wären verärgert, gelangweilt und irritiert. Sie würden sich sehr schnell beklagen und, sobald ihnen diese Freiheit gestattet würde, unter allen Umständen versuchen, dem ,Reformprogramm' zu entkommen, um ihre alten Gewohnheiten wieder aufzunehmen. Alle Argumente, alle Warnungen von Spezialisten und Experten der Medizin oder der Soziologie, die unwiderlegbar dokumentieren, dass solche Süchte physischen, mentalen und sozialen Schaden hinterlassen, würden sie nicht davon überzeugen können, ihren Lebensstil zu korrigieren. Selbst Menschen, die von den chemischen Auswirkungen ihrer Süchte geheilt wurden, verfallen ihnen oft genug erneut. Natürlich gibt es auch immer wieder Menschen, die öffentlich gegen schädliche Gewohnheiten wie das Rauchen und das Trinken zu Felde ziehen, selbst jedoch nicht in der Lage sind, ihren eigenen Konsum aufzugeben. Wenn wir uns dessen bewusst sind und uns nun in Erinnerung rufen, dass es hier nicht darum geht, einige wenige individuelle Charakterschwächen zu überwinden, sondern dass damals eine ganze Lebensweise reformiert werden musste, dann beginnen wir zu begreifen, warum der Koran Schritt für Schritt offenbart wurde. Die Art zu leben und zu sterben, zu heiraten, zu handeln, Streitigkeiten zu schlichten und vor allem die Einstellung des Menschen zu seinem Schöpfer mussten von Grund auf verändert werden.
Die Offenbarung des Koran riss das Unkraut aus den Herzen der Menschen, befreite sie von der Pest und von anderen Plagen und machte sie so zu einem fruchtbaren Stück Land für die Kultivierung von Tugenden, manierlichem Auftreten und ambitionierten Zielen. Dass dies alles in nur 23 Jahren geschah, kommt uns vor wie etwas, das es auch wirklich war: ein Wunder. Der berühmte islamische Gelehrte Said Nursi (1873-1960) sagte einmal: „Wenn alle Gelehrten unserer Zeit auf die Arabische Halbinsel reisen würden, würde ich mich fragen, ob sie in einhundert Jahren nur ein Prozent dessen erreichen würden, was dem Propheten Muhammad, Friede sei mit ihm, in einem einzigen Jahr gelang.“ Heute müssen wir anerkennen, dass ein so nebensächliches Laster wie das Rauchen selbst dann nicht auszurotten ist, wenn zahlreiche renommierte Wissenschaftler und Institute und das gesamte Netz der Massenmedien sich dafür einsetzen; wenn nach einer Kampagne gegen das Trinken zwanzig Verkehrstote weniger zu beklagen sind, wird dies schon als Riesenerfolg gefeiert! Dem ist aber leider nicht so! Einzigartig war dagegen das Wunder des Koran. Ein solches Wunder wird sich niemals wiederholen. In weiteren 1500 Jahren hat die Menschheit nicht so große Fortschritte erzielt wie in den 23 Jahren der Prophetenschaft Muhammads.
Die Menschen jener Zeit brauchten eine Frist von 23 Jahren, um die Offenbarung mühelos zu verstehen, sich mit ihr zu befassen und sich ihrer zu bedienen. Der Koran leitete durch Verbote, Vorschriften und weitestreichende Reformen einen gewaltigen Wandel ein. Dies geschah etappenweise über einen längeren Zeitraum hinweg. In diesem stieg das Bedürfnis nach Orientierung kontinuierlich an, andererseits wurden die Menschen aber auch nicht entmutigt. Warnung und Missbilligung gingen Verboten voraus; bevor Vorschriften erlassen wurden, erfolgten Aufrufe und Ermahnungen. So wurden zum Beispiel alkoholhaltige Getränke in drei oder vier Stufen verboten, die Beerdigung lebendiger Mädchen in zwei Stufen; die Vereinigung Krieg führender Stämme und der Aufbau einer eng zusammenwachsenden auf Brüderlichkeit basierenden Gesellschaft und die damit einher gehende Stärkung des kollektiven Bewusstseins dauerte nur wenig länger. All diese schwierigen Reformen wurden nicht durch Schlagworte erreicht, sondern es wurde heftig um sie gerungen. Die Gläubigen benötigten diese Zeit, um zu reformieren und selbst zu Reformern zu werden.
Wir richten unsere heutigen Pläne nach den Erfahrungen der Vergangenheit und den Chancen in der Zukunft aus. Um auf soziale und ökonomische Schwankungen reagieren zu können, gestalten wir unsere Projekte flexibel und versuchen, Spielraum für eventuell notwendige geringfügige Modifikationen zu lassen. Jungen Bäumen ähnelnd wuchsen die Muslime in den Anfangsjahren des Islam langsam. Sie passten sich den neuen Bedingungen nach und nach an, und entwickelten sich so auf natürliche Weise. Mit jedem Tag konvertierten mehr Menschen zum Islam. Diese neuen Muslime beschäftigten sich täglich damit, ihnen nicht vertraute und unbekannte Dinge zu erlernen, sich ein islamisches Bewusstsein anzueignen und sich weiterzubilden, um dem Islam gemäß zu handeln. Auf diese Weise blieben sie nicht länger isolierte Individuen oder Clans im Kriegszustand, sondern wurden zu Mitgliedern einer Gesellschaft. Ihre individuellen Charaktereigenschaften und ihre Persönlichkeit, ja, ihr ganzes Leben - alles wurde im Einklang mit den Prinzipien des Islam durch die Anweisungen des Koran vollkommen neu entworfen und geordnet. In dieser Größenordnung lag ihre spirituelle, moralische, intellektuelle und sogar physische Wiedergeburt. Über einen längeren Zeitraum hinweg entwickelte sie sich kontinuierlich, harmonisch und in Etappen, wobei ihre treibende Kraft eine ausgewogene Synthese zwischen irdischem Leben und spirituellem Fortschritt war.
Wäre die Offenbarung des Koran in einem einzigen Offenbarungsvorgang erfolgt, hätten diese Beduinen und einfachen Menschen ihr nicht standhalten können. Wenn ein Mensch, der es gewohnt ist, unter ganz bestimmten atmosphärischen Druckverhältnissen zu leben, plötzlich in extreme Höhen verfrachtet wird, so wird er wegen des schlagartigen Wechsels sterben. Auf ähnliche Weise trafen die Veränderungen, nach denen der Koran strebte, auf ein Volk, bei dem die koranischen Werte des individuellen, familiären und gesellschaftlichen Lebens, des iman (Glaubens) und des din (der Religion) keinen Wert besaßen. Wenn sich der Koran mit all seinen Reformen gegen die Menschen gestellt und sie aufgefordert hätte, diese vollständig durchzuführen, hätte ihn niemand verstanden, geschweige denn akzeptiert. Das Ergebnis wäre das gleiche gewesen, als wenn man einen Menschen einige wenige Sekunden lang in extreme Höhen gebracht und so seinen Tod verursacht hätte. Unter Berücksichtigung dessen, was der Natur des Menschen am besten entspricht, wurden die Anordnungen des Koran in mehreren Etappen gesandt und jedem ans Herz gelegt.
Da der Mensch ein Teil des Universums ist, können wir ihn nicht außerhalb des Kontextes der im Universum herrschenden Gesetze betrachten. So wie sich alles im Universum allmählich entwickelt und entfaltet, so verläuft auch ein angemessener und dauerhafter Fortschritt und Aufstieg des Menschen in Etappen. Der Koran, die Basis und das Fundament dieses Fortschritts, musste daher im Einklang mit der Weisheit Gottes, die alles umschließt, etappenweise über einen Zeitraum von 23 Jahre offenbart werden. Warum es nun aber 23 Jahre, und nicht 22 oder 24 Jahre waren - danach zu fragen geht wohl zu weit; wie viele auch immer es hätten sein mögen, wir würden jede Zahl in Demut und vollkommener Ergebenheit akzeptiert haben.
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